Drachensturm
Rutschen. Mila schrie auf, und noch während sie schrie, knallte es wieder leise, und der Sattel begann sich vom Rücken des Drachen zu lösen.
» Die Riemen«, schrie Mila und griff in Panik nach dem Geschirr.
Nabu keuchte erschrocken auf, und mit raschem Flügelschlag brach er den Sinkflug ab. Doch durch die schnelle Bewegung wurde das Geschirr nur noch mehr beansprucht, und die Riemen stöhnten, als das Gewicht der schwer gerüsteten Mila an ihnen zerrte. Sie presste sich so dicht wie möglich an den Leib des Drachen. Sie konnte fühlen, wie das Geschirr immer weiter nachgab. » Der Sattel, er rutscht«, rief sie.
» Dann halt dich an meinen Schultern fest!«, antwortete der Drache, und er schlug jetzt fast gar nicht mehr mit den Flügeln. Mila erkannte, dass sie schnell tiefer sanken, aber sie spürte auch, dass das ganze Geschirr weiter zu verrutschen drohte. Nabu stieß einen Warnruf aus. Irgendwo von unten antworteten die Drachen. » Es ist neblig, Mila, das könnte eine harte Landung werden«, knurrte Nabu, und dann spreizte er seine mächtigen Flügel. Er hatte sich offenbar in der Höhe verschätzt, setzte viel härter auf als sonst, und Mila wurde aus dem losen Sattel gehoben. Ein Sehender hätte sich festhalten oder wenigstens den Sturz abfangen können – aber beides vermochte Mila nicht. Ihre Hände griffen ins Leere, sie rutschte ungelenk über Nabus Schulter und landete mit dem Gesicht im Gras.
» Hast du dich verletzt?«, rief Nabu.
Mila richtete sich ächzend auf. Noch nie war ihr die Rüstung so schwer erschienen. Sie spuckte Grashalme und Erde aus. » Nein, mir fehlt nichts, glaube ich.«
Im Lager hatten sie wohl bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Männer kamen herangelaufen, um zu sehen, was geschehen war. Mila war wieder auf den Beinen. Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Mit den Fingern tastete sie sich ab, entfernte Gras und Schmutz von ihrer Rüstung. Die Männer erkundigten sich besorgt nach ihrem Befinden. In dem Stimmengewirr erkannte Mila, dass es sich um ihre Ritterbrüder, einige Spanier und auch Ruiz handelte – Ruiz, der für das Geschirr zuständig war. Auch Nabu hatte das nicht vergessen, und er stellte den Waffenknecht zur Rede. Verlegen stotterte dieser, er habe das Geschirr sehr wohl gesäubert, gab dann aber kleinlaut zu, dass er » vergessen« hatte, sich um die von Mila beanstandeten Riemen zu kümmern.
Die Spanier kehrten daraufhin lachend zum Lager zurück, um sich ihrem Frühstück zu widmen. Auch Ritter Balian und der Tressler entfernten sich wieder. Mila konnte an seinen Schritten hören, dass Graf Tassilo wieder die Gicht plagte, und er murmelte übellaunig etwas von mangelnder Sorgfalt bei gewissen Ritterschwestern. Zurück blieben Mila, Nabu, Ruiz, Don Mancebo und der Hochmeister.
» In früheren Zeiten hätte man einen so pflichtvergessenen Waffenknecht wohl erschossen«, zürnte der Hochmeister.
» Vielleicht würde ich damit noch warten, Don Maximilian«, warf Don Mancebo ein. Und auf die unwillige Frage, worauf denn noch zu warten sei, entgegnete der Ritter: » Für mich sieht es so aus, als habe bei den Schäden an diesem Geschirr eine scharfe Klinge nachgeholfen.«
Das Zelt des Hohepriesters fand sich am Hang, nur noch ein kleines Stück von den heißen Quellen und somit vom großen Haus Atahualpas entfernt. Qupay blieb vor dem Zelt und bedeutete ihm wortlos, einzutreten. Das Zelt war so geräumig, dass zwei Dutzend Krieger darin Platz gefunden hätten, und Kemaq fragte sich unwillkürlich, wer es hatte räumen müssen, denn Huaxamac hatte kein Zelt mitgeführt, als sie Tikalaq verlassen hatten. Einige Kerzen waren entzündet, und Kemaq sah, dass der Hohepriester ihn nicht allein erwartete. Ein Mann saß bei ihm. Er trug einen mit vielen Federn geschmückten Bronzehelm, weshalb Kemaq ihn für einen wichtigen Heerführer hielt. Der Mann musterte ihn mit einem Blick, den Kemaq nur schwer ertrug.
» Dies ist der Läufer, von dem ich dir erzählt habe, Herr«, sagte Huaxamac.
Der andere verzog immer noch keine Miene, sondern starrte Kemaq weiter durchdringend an. » Man sagt, du habest Inti auf deiner Seite, Läufer«, sagte der Befehlshaber mit heiserer Stimme.
» Ich hatte viel Glück, Herr«, erwiderte Kemaq vorsichtig.
» Es ist mehr als das, Herr«, sagte Huaxamac. » Keiner ist dem Feind öfter begegnet als dieser Läufer, und doch hat er jede Begegnung überlebt.«
Immer noch ruhte das Auge des Feldherrn starr auf Kemaq. Plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher