Drachensturm
hatte es ihm einen Tag offenbart oder nicht? Das musste er doch wissen. Oder dachte er sich das alles nur aus?
» Gut. Ich werde mit meinen Priestern sprechen, die sicher schon voller Ungeduld auf mich warten. Dich brauche ich heute nicht mehr, Chaski, doch morgen früh solltest du dich zu meiner Verfügung halten, verstanden?«
» Ja, Herr«, versicherte Kemaq und war froh, dass er endlich gehen konnte. Dann begriff er, was Huaxamac gesagt hatte. Er würde mit den anderen Dienern Intis reden, das hieß, auch mit Qupay. Er würde wieder nicht dazu kommen, ihm von Jatunaq zu erzählen. Aber vielleicht gab es etwas, was er allein unternehmen konnte. Er lief auf den Hügel hinauf. Da unten lag die Stadt im Mondlicht. Einige Feuer brannten auf dem Platz, und ihm war, als sähe er im Dunkeln auch Bewegung auf der Festung, die in der Mitte thronte. In weniger als der Hälfte einer Stunde könnte er dort sein.
Es war schon nach Mitternacht, als sich die Ritter mit ihren Drachen auf der Mauer der Festung zu einer Beratung trafen. Mila war neugierig, was es zu besprechen gab. Die Einladung – und das fand sie erstaunlich – hatte Ianus im Auftrag von Marduk überbracht, aber noch erstaunlicher fand sie, dass die Ritter ihr ohne jede Diskussion folgten. Selbst Balian oder der Tressler hatten keine Einwände.
Sie stellten Ruiz als Wache an den Aufgang zur Mauer, denn es war wichtig, dass sie ungestört blieben. Mit leichtem Stirnrunzeln nahm Mila zur Kenntnis, dass sie auch die Stimme von Balians jüngerem Bruder Konrad hörte.
» Was macht der Knabe hier?«, fragte Marduk ziemlich unhöflich.
» Er ist mein Bruder, und wenn morgen einer von uns sterben sollte, was Gott verhüten möge, so wird er dem Unglücklichen doch wohl nachfolgen«, entgegnete Ritter Balian steif.
» Der Knabe soll wiederkommen, wenn es so weit ist«, zischte Nergal.
Mila unterdrückte ein unziemliches Grinsen. Es war selten, dass sie mit dem Schwarzen Nergal einer Meinung war, und dass die Drachen Konrad als Knaben bezeichneten, wo er doch in ihrem Alter war, das, so gestand sie sich ein, gefiel ihr besonders gut.
» Ich wäre sicher ein besserer Ritter als diese Blinde, die nicht einmal bemerkt, wenn das Zaumzeug schadhaft ist«, rief Konrad.
Mila biss sich auf die Lippen. Immer noch hielt sie Konrad für den wahrscheinlichsten Urheber dieses Anschlags.
» Kann es sein, dass du davon wusstest, Konrad?«, fragte Nabu betont ruhig.
» Lächerlich«, schnaubte Balian.
» Das denke ich auch«, sagte der Hochmeister jetzt. » Ich kenne Konrad als ehrlichen, wenn auch etwas übermütigen jungen Knappen. Und vielleicht kannst du seine Anwesenheit dulden, Marduk, denn Balian hat Recht«, sagte der Hochmeister. » Wir sind nur noch wenige, und sollte einer von uns fallen, so wäre die Reihe wohl an ihm, es sei denn, ihr wollt einen von Pizarros Männern im Sattel eines Drachen wissen.«
» Dieser Knabe ist nicht eingeladen«, gab sich Marduk stur, » und die Sache geht nur Drachen und Ritter an.«
Einen Augenblick blieb es still, dann sagte der Tressler: » Du hast es gehört, mein Junge, entschuldige uns bitte.«
Noch eine Überraschung, dachte Mila, der alte Graf tritt nicht für seinen Neffen ein.
Konrad entfernte sich wortlos, aber sie hörte seinem stampfenden Schritt an, wie wütend er war.
» Morgen wird ein bitterer Tag«, sagte Marduk, als sie unter sich waren.
» Niemand weiß, was morgen sein wird«, entgegnete Graf Tassilo.
Marduk schnaubte verächtlich und erwiderte: » Ich weiß aber, was morgen nicht geschehen wird. Ich weiß, dass weder Schamasch noch die anderen unserer Brüder, die ihr nach Norden gesandt habt, rechtzeitig hier erscheinen werden, geschweige denn Almagro und seine Männer. Und ganz sicher wird der König dieses Landes seine Krone nicht ohne Kampf hergeben.«
Der Hochmeister seufzte. » Dass wir mit Schamasch und den anderen nicht rechnen dürfen, wissen wir. Selbst Don Francisco weiß es, doch will er seinen Männern nicht die Hoffnung rauben. Und was das andere angeht, so kannst du sicher sein, dass mir der Plan, den Pizarro ausgeheckt hat, auch nicht besonders gefällt, aber einen besseren habe ich nicht. Und wenn es ihm gelingt, Atahualpa gefangen zu nehmen, bleiben uns weitere Schlachten vielleicht sogar erspart.«
» Ich habe meine Zweifel«, sagte Don Mancebo, » denn ich weiß, dass Cortez das Gleiche bei den Azteken in Tenochtitlan versucht hat, und die haben ihren Fürsten lieber erschlagen, als
Weitere Kostenlose Bücher