Drachensturm
Ehrgefühl ausgerechnet hier und heute wieder entdecken?«
Mila seufzte und musste jetzt an die Worte ihres Großonkels denken: Wenn der Orden nicht kämpfte, war er nutzlos. » Wäre ein Kompromiss denkbar?«, fragte sie.
» Wie sollte der aussehen? Die eine Hälfte kämpft, die andere nicht?«, fragte Balian höhnisch.
» Nein«, antwortete Mila, » aber vielleicht können wir sie überreden, sich wenigstens zu zeigen, die Reihen des Feindes zu überfliegen oder ihn mit ihrem Gebrüll in die Flucht zu schlagen, wenn es denn unbedingt sein muss.«
Der Vorschlag wurde zunächst mit nachdenklichem Schweigen aufgenommen, dann sagte Don Mancebo: » Und wieder ist Euer Vorschlag gut, Condesa.«
Auch der Hochmeister stimmte zu. » Ich werde gehen und Marduk den Vorschlag unterbreiten. Ich kann mir gut vorstellen, dass er einverstanden ist.« Er klang erleichtert. » Wirklich, Mila, ich glaube, wir können morgen dank dir unsere Ehre wahren.«
Mila nickte flüchtig und wartete.
Der Hochmeister kam bald darauf zurück. » Die Drachen haben dem Vorschlag zugestimmt, Ihr Herren.«
» Besser als nichts«, meinte Ritter Balian.
Mila fühlte sich auf einmal sehr unglücklich. Sie hatte dafür gesorgt, dass sie sich an der unvermeidlichen Schlacht beteiligen würden. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?
Kemaq kletterte vorsichtig den Hügel hinunter. Wenn er erst einmal auf der Straße war, würde er die Stadt schnell erreichen können.
» Wo willst du hin, Mann?«, fragte eine Stimme aus dem Schatten eines Felsens.
Kemaq erstarrte. Ein Speerträger trat hervor. » Weißt du nicht, dass kein Krieger das Lager verlassen darf?«
» Ich bin kein Krieger, sondern ein Chaski«, sagte Kemaq schnell. Er überlegte fieberhaft. Es war dunkel, der Hügel tückisch, aber wenn er schnell davonsprang, konnte er vielleicht entkommen.
» Aber es ist mir nicht gemeldet, dass ein Läufer kommen wird, und ich müsste es doch wissen, denn ich bin der Hauptmann der Männer, die zwischen unserem Lager und der Stadt stehen.«
Kemaq war schon zum Sprung bereit, doch jetzt zögerte er: » Es sind noch mehr Krieger hier?«, fragte er.
» Natürlich, denn der Feind schickt vielleicht Kundschafter«, sagte der Krieger und klang misstrauisch.
» Ich bin kein Kundschafter, Herr!«, versicherte Kemaq. Das schwache Mondlicht erlaubte ihm nicht, die Gesichtszüge des Kriegers genau zu erkennen.
Dieser sagte jetzt: » Dann bist du vielleicht ein Feigling, der das Heer vor der Schlacht verlassen will.«
» Aber nein, Herr, ich bin doch nicht einmal ein Krieger, nur ein Läufer.«
» Das hast du bereits gesagt. Du wärst auch ein ausgesprochen dummer Feigling, Chaski, denn du rennst in die falsche Richtung, genau dorthin, wo der Feind ist. Ich gestehe, dass ich nicht verstehe, was du hier willst.«
» Mein Bruder Jatunaq, er wurde in Chan Chan vom Feind gefangen genommen«, stieß Kemaq hastig hervor. » Sie haben ihn in Ketten gelegt. Ich sah ihn gestern, als ich die Botschaft des Sapay Inka zu den Fremden trug. Und jetzt will ich nach Caxamalca, um ihn zu befreien.«
Der Hauptmann schwieg einen Augenblick, dann sagte er: » Du bist entweder sehr verwegen oder noch dümmer, als ich es für möglich gehalten hätte. Weißt du nicht, wie gefährlich dein Vorhaben ist? Der Feind wird seine Gefangenen doch bewachen lassen, vielleicht sogar von einem dieser fliegenden Götter. Du wirst nur den Tod finden, wenn du dort hinabgehst. Allerdings würdest du gar nicht so weit kommen. Einer meiner Männer würde dich fassen – und dann wäre dein Leben verwirkt. Also kehre zurück in dein Zelt, und ich werde vergessen, dass ich dich gesehen habe.«
Kemaq schluckte. » Du … du verschonst mich? Aber warum, Herr?«
Der Hauptmann lachte leise. » Du bist tapfer, Chaski, aber wirklich etwas einfältig, wenn du dich darüber beschwerst, dass ich dich laufen lasse.« Dann seufzte er leise. » Jatunaq – das ist ein Marachuna-Name, oder?«
» Ja, Herr«, erwiderte Kemaq.
» Auch ich gehöre zum Steinvolk, Chaski. Und diesem Umstand und deinem unbestreitbaren Mut verdankst du heute dein Leben. Doch nun verschwinde, schnell, bevor ich mich wieder an meine Pflicht erinnere.«
Kemaq stammelte ein paar Dankesworte und lief zurück. Er drehte sich noch einmal um, als er den Hügel hinauf zum Lager stieg. Da lag Caxamalca, nicht weit entfernt, aber unerreichbar. Die Stadt war in Finsternis getaucht. Nur vereinzelt funkelten dort unten kleine Wachfeuer wie
Weitere Kostenlose Bücher