Drachensturm
böse Augen in der Dunkelheit.
22 . Tag
Mila erwachte mit Kopfschmerzen, und ihr war kalt. Sie schälte sich widerwillig aus der dünnen Decke, unter der sie geschlafen hatte.
» Schon wach?«, fragte Nabu und gähnte.
» Kann nicht schlafen«, murmelte Mila.
» Kein Wunder«, meinte Nabu. » Aber tröste dich, die Sonne geht gleich auf. Die Morgendämmerung war mir immer die liebste Stunde. Auch du solltest sie genießen, gerade heute. Denn so schön wie jetzt wird der Tag nicht bleiben.«
Mila seufzte und tastete nach ihrer Augenbinde. Der Drache musste sie nicht daran erinnern, was bald geschehen würde. Sie erhob sich und lief hinab in den Hof. Wenn nicht auch noch die Kopfschmerzen gewesen wären. Noch immer befanden sie sich in großer Höhe, und der Einzige, dem das inzwischen nichts mehr auszumachen schien, war der Alchemist. Sie traf ihn im Innenhof der Festung, als sie nach Ruiz suchte, denn der sollte Nabu wieder aufzäumen, war aber nirgendwo zu finden.
» Ah, Comtesse, so früh schon auf?«, rief Meister Albrecht. Er schien ihr recht aufgekratzt.
» Der Tag bricht an, Meister Albrecht, und es ist doch gut möglich, dass es heute einen Kampf geben wird. Wer könnte da schlafen?«
» Ein Kampf? Seid Ihr sicher? Soweit ich weiß, hat Don Francisco den Inka doch nur zu einem Treffen gebeten.«
Mila fragte sich, ob der Alchemist wirklich als Einziger nicht wusste, dass diese unverschämte Einladung eine Falle war. » Warum aber seid Ihr so früh auf, Meister Albrecht?«, fragte sie zurück.
» Früh? Die Tage erscheinen mir einfach zu kurz, Comtesse, zu kurz, um all das zu erforschen, was es zu erforschen gilt. Der Tempel ist allerdings eine Enttäuschung, denn er ist dem Sonnengott geweiht, aber dafür gibt es unten am Platz einen großen Palast, der ganz und gar mit Bildern von Schlangen verziert ist. Einige von ihnen sind sogar gefiedert. Also ist Pachakamaq auch hier gegenwärtig. Oder vielleicht sogar Tamachoc? Wer weiß, wer weiß?«
» Ihr sucht nach Hinweisen zum Azoth, nicht wahr?«, fragte Mila, die gerne bereit war, sich von dem ablenken zu lassen, was der Tag voraussichtlich bringen würde.
» Ja, aber leider ist niemand hier, den wir nach der Bedeutung der Bilder fragen könnten. Ich habe Don Francisco eben noch einmal darauf hingewiesen, dass wir hier nichts von Bedeutung finden werden, aber er will nicht fort, nein, er war damit beschäftigt, seine Leute in den Häusern zu verstecken.«
» Ihr habt ihn heute gefragt?«, fragte Mila verblüfft. » Wisst Ihr nicht, dass da draußen ein Heer von Indios steht?«
» Doch, natürlich, aber ich bin sicher, sie ließen mit sich reden. Stellt Euch vor, meine Suche hätte Erfolg, Condesa – wir müssten nicht mehr versuchen, den Heiden ihre Schätze zu entreißen, denn der Azoth gäbe uns die Möglichkeit, aus Blei, Eisen oder Kupfer Gold und Silber zu machen!«
» Wenn es ihn denn überhaupt gibt, Euren Stein der Weisen, Meister Albrecht«, gab Mila zu bedenken. Der Gelehrte kam ihr seltsam, geradezu entrückt vor. Wie konnte er das feindliche Heer einfach ignorieren?
» Natürlich gibt es ihn, und wenn ich nach Tanyamarka komme, werde ich es beweisen. Stellt Euch nur vor – wir könnten Gold in beliebiger Menge herstellen, es gäbe keinen Grund mehr, unter großen Gefahren so ferne Länder zu erobern, ja vielleicht wären damit alle Kriege beendet, denn wie oft geht es einem König dabei nur um die Reichtümer anderer Könige?«
Mila runzelte die Stirn. » Aber Meister Albrecht, wenn Kaiser Karl diesen mächtigen Stein oder dieses Element, was immer es sein mag, besäße – dann würden doch alle Fürsten der Welt versuchen, es ihm wieder zu entreißen, oder?«
Der Alchemist verstummte, aber dann rief er ungehalten: » Unsinn, ich bin sicher, es gäbe genug für alle, doch entschuldigt mich. Ich habe etwas Silbergeschirr in diesem Palast entdeckt, und ich will sehen, ob es Selen enthält wie jenes, das wir in Chan Chan gefunden haben.« Und damit verschwand er.
Mila lauschte ihm nach. Es war eigenartig, manchmal wirkte der Gelehrte sehr überzeugend und schaffte es, ihre Neugier auf diesen Azoth zu wecken, dann wieder, an Tagen wie heute, schien er ihr aber so übertrieben euphorisch, dass es leicht war, seine angebliche Wissenschaft als Jagd nach einem Hirngespinst abzutun. Das letzte Mal hatte er ihr erzählt, der Azoth berge die Möglichkeit, eine allheilende Medizin zu erschaffen, heute sprach er davon, dass er Gold machen
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