Drachensturm
einmal, schloss zu Kemaq auf und lief schließlich neben ihm. Es war wirklich ein Läufer, auch er hatte Beutel und Oberkleidung abgelegt und lief nur im Lendenschurz. Auch auf das Muschelhorn und selbst auf den Trinkbeutel hatte er verzichtet, was Kemaq falsch fand.
» Wir haben denselben Weg, Chaski«, keuchte der Mann.
Kemaq erkannte ihn wieder. Es war der Gedrungene, der Chimú, der mit den anderen Läufern im Tempel gewartet hatte. Kemaq runzelte die Stirn und nickte vage. Den gleichen Weg? Wieso hatte der Hohepriester zwei Läufer mit derselben Aufgabe betraut?
» Wasser«, keuchte der andere.
Kemaq deutete bergab. Der Pfad wand sich noch um etliche Grate und Felsspalten, aber dort unten war schon das runde Dach des kleinen Botenhauses zu sehen. So eilig, wie es der Chimú hatte, würde er sicher im Viertel einer Stunde dort unten ankommen, und wenn der Mann so dumm war, kein Wasser mitzunehmen, war es nicht Kemaqs Schuld. Sie trabten weiter nebeneinanderher, und Kemaq hörte, wie schwer der Mann schon atmete. Noch war die Straße zwar breit genug für zwei Läufer, aber ein Stück voraus verengte sie sich wieder. Der Berg hatte dort einen mächtigen, steilen Vorsprung, und den hatten die Baumeister nur durch einen schmalen Tunnel überwinden können. Wenige Schritte dahinter, das wusste Kemaq nur zu gut, lag der Große Spalt, eine tiefe Kerbe, die der Pfad in einem scharfen Linksschwenk umging. Für Chaski, die bergab liefen, war dies die gefährlichste Stelle des Weges, und Kemaq wollte sich von dem Chimú nicht ablenken lassen. Er hörte ihn weiter neben sich keuchen. Es klang wirklich nicht gut. Weit würde er wohl nicht kommen. » Das sind meine Leute«, keuchte der Chimú jetzt.
Kemaq bekam ein schlechtes Gewissen, denn er verstand ja, warum der andere es so eilig hatte, nach Chan Chan zu kommen. Diese Stadt war schließlich die Hauptstadt des Chimú-Reiches gewesen, bevor die Inka es erobert hatten, und immer noch lebten hauptsächlich Chimú dort. Vielleicht hatte der Chaski ja sogar Verwandte dort unten. Plötzlich tat der Mann ihm leid. » Du läufst zu schnell«, mahnte ihn Kemaq keuchend. Ohne seine Schritte zu verlangsamen, nestelte er dabei den Tragriemen seines Trinkbeutels von der Schulter, um ihn seinem Nachbarn zu reichen. Dieser fiel aber plötzlich zurück. Kemaq zuckte zusammen. Er hatte für einen Augenblick nicht aufgepasst, und schon waren sie am Tunnel angelangt. Kemaq lief hindurch und dachte, wie stets an dieser Stelle, an den unglücklichen Chaski, der eines Abends, geblendet von der tief stehenden Sonne, hinter dem Tunnel zu spät abgebogen und in die Tiefe gestürzt sein sollte. Er riss sich zusammen. Am Großen Spalt konnte er das Wasser nicht übergeben, der Chimú würde warten müssen, bis sie ihn hinter sich hatten. Schon bog der Pfad scharf links ab, und dann begannen die Stufen, die breiten, unregelmäßigen Felsplatten, die die Beine zu ungewohnter Schrittlänge zwangen, und auch hier war das Gestein spröde und brüchig.
Der Chimú holte wieder auf. Kemaq spürte seinen Atem im Nacken. Jetzt liefen sie im Gleichschritt. Immer noch hielt er seinen Beutel in der Hand. Er dachte kurz darüber nach, ihn nach hinten zu reichen, aber das war zu gefährlich. Über ihnen schrie ein Adler. Kemaq deutete mit seinem Beutel in der Hand nach unten, auf das Chaskiwasi. Das Botenhaus war deutlich näher gerückt.
» So lange«, keuchte der andere, » kann ich nicht warten.« Plötzlich packte er von hinten Kemaqs rechte Hand, in der er den Beutel hielt. Kemaq geriet aus dem Tritt und stolperte. Er spürte einen Stoß im Rücken, ließ mit einem Aufschrei den Beutel los und versuchte, sich abzufangen. Der Chimú löste seinen Griff um Kemaqs Arm und fing den Trinkbeutel mit viel Geschick auf, noch bevor er den Boden erreichte. Doch obwohl der andere nun hatte, was er wollte, fühlte Kemaq noch einen weiteren harten Stoß zwischen den Schultern. Er stolperte und versuchte, sich abzufangen, aber es war vergeblich: Er taumelte, schrammte mit der Schulter über die schroffe Felswand, stürzte zu Boden, sah den Chimú mit einem hellen Siegesschrei über sich hinwegspringen, rollte über den Boden, spürte einen schmerzhaften Stich im rechten Knie, und dann tat sich vor ihm der Abgrund auf.
Mila hatte versucht, mit Nabu zu reden, denn sie wollte ihm ihr Beileid für seinen Verlust aussprechen, ihn vielleicht sogar trösten. Aber der Drache hatte sie nur lange angeschwiegen und
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