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Drachensturm

Titel: Drachensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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sparen musste, wenn er den Weg, der vor ihm lag, in der gesetzten Frist bewältigen wollte. Die im Chaskiwasi wartenden Läufer hatten ihn erwartungsvoll angesehen und waren verwirrt zurückgeblieben, als er nur seinen Trinkbeutel aufgefüllt und sich wortlos wieder auf den Weg gemacht hatte.
    Die Sonne warf ihr Licht schon hinab auf die Ebene, in der der Morgendunst die Stadt Chan Chan vor ihm verbarg, aber der Pfad, der aus den Bergen herabführte, lag noch im langen Schatten der Anden. Dies war der Teil der Strecke, den Kemaq gut kannte, denn er führte hinunter zum Chaskiwasi, in dem er selbst Dienst tat. Ihm oblag die Strecke weiter bergab, also kannte er auch den folgenden Abschnitt sehr gut. Was danach folgte, würde jedoch neu für ihn sein. Er lief mit möglichst gleichmäßigen Schritten den Hang hinab. Der Weg führte nördlich um den Chanajirka herum, und die Baumeister hatten viele Stufen anlegen müssen, um den Höhenunterschied zu überwinden. Sie waren unregelmäßig, und das machte es ihm nicht leichter. Es war kühl, aber seine Muskeln waren schon längst warm, und er war froh, dass er Beutel und Oberkleidung abgelegt hatte. Sein Muschelhorn, das Zeichen seines Amtes, hatte er behalten, damit die anderen Chaski ihn gleich als einen der Ihren erkannten. Der Pfad wand sich jetzt um scharfe Felskanten, ein Wegstück, das die Chaski die Vier Grate nannten, und das Gestein war brüchig, was Kemaqs erhöhte Aufmerksamkeit forderte. Dieser Abschnitt war nicht so sicher, wie er aussah, aber noch kannte er jeden Stein. Er versuchte, ruhig zu bleiben, und lauschte auf seinen Atem. Er durfte nicht zu schnell werden. Er war zu Beginn des Weges der Macht der Gewohnheit erlegen und hatte seine übliche Laufgeschwindigkeit eingehalten, aber dies war kein Lauf für eine halbe Stunde. Zwei Tage waren wenig Zeit, aber er würde es nie schaffen, wenn er seine Kräfte vergeudete.
    Ein falscher Ton schlich sich in seinen Lauf. Kemaq lauschte auf seinen Atem und den Klang des Gesteins unter seinen Schuhen. Das war es nicht. Aber da! Das Echo seiner Schritte, das von den kahlen Felswänden zurückgeworfen wurde – es klang falsch. Er lauschte darauf, bis er sicher war: Jemand folgte ihm. Er kämpfte mit der Versuchung, sich umzudrehen, aber er ließ es. Bei den Vier Graten war der Weg schmal, außerdem hätte er den anderen ohnehin nicht sehen können, wenn er hinter einem der anderen Grate war. Er erkannte schnell, dass es nur ein anderer Läufer sein konnte. Vielleicht eine weitere Botschaft, dieses Mal der Kette der Chaski anvertraut, wie er dachte, denn das würde erklären, warum der Mann schneller lief als er selbst. Die Schritte folgten ihm. Einmal hörte er ein Rutschen und einen kurzen Aufschrei. Er war versucht, stehen zu bleiben, um nachzusehen, ob dem anderen etwas geschehen war, aber dann hörte er wieder dessen unruhige Schritte über die nackten Felsen huschen. Es war noch ein gutes Stück bis zum nächsten Botenhaus, es war sogar das längste Teilstück der gesamten Strecke, denn der Chanajirka ließ keine Chaskiwasi in seinem Hang zu. Kemaq fragte sich, welche Botschaft der andere haben mochte. Für einen winzigen Augenblick hoffte er, sie sei sogar für ihn selbst bestimmt. Vielleicht hat der Hohepriester eingesehen, dass auf meinem Weg zu viel geschehen kann, und gönnt mir mehr Zeit, dachte er. Dann wurde ihm klar, dass so ein hoher Herr sich kaum mit solchen Gedanken abgeben würde. Die fremden Schritte waren näher gekommen, es schien, als hätte der andere seine Geschwindigkeit noch einmal erhöht. Kemaq sah keine Veranlassung, Gleiches zu tun. Er hatte noch einen weiten, sehr weiten Weg vor sich, er achtete ganz im Gegenteil stark darauf, sich nicht etwa unbewusst dem Schritt des anderen anzupassen.
    Jetzt rief ihm der Mann etwas zu. Kemaq drehte sich jedoch wieder nicht um. Wenn der Mann etwas zu sagen hatte, dann konnte er das auch noch tun, wenn er ihn eingeholt hatte. Möglicherweise ist es das, was er vorhat, dachte Kemaq, denn der andere holte schnell auf, wie bei einem Wettlauf, bei dem kurz vor dem Ziel die Wettkämpfer noch einmal alles geben. Sie hatten die Vier Grate hinter sich gelassen, und der Pfad wurde flacher und etwas breiter. Inzwischen klangen die Schritte schon sehr nah. Dann konnte er den Atem des anderen hören. » Warte, Chaski«, rief der Mann.
    Kemaq schüttelte den Kopf und lief weiter. Der andere war jetzt dicht hinter ihm. Er keuchte schwer, dann beschleunigte er noch

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