Drachensturm
Dach«, rief Mila.
» Deine Ohren sind wirklich ausgezeichnet, und ich denke auch nicht, dass man sie irgendwo annageln sollte«, meinte Nabu.
Mila wurde rot. Offenbar hatte der Drache gehört, was ihr Großonkel ihr am Morgen zu sagen gehabt hatte.
Er fuhr fort: » Es sind Schleudersteine, sie kommen aus dem Wald. Allzu viel Schaden können sie damit bei den Spaniern aber nicht anrichten.«
» Bei unseren Yunga aber schon, oder?«, wandte Mila ein, worauf Nabu nur unbestimmt brummte.
Mächtige Flügel rauschten heran. Nabu wandte sich dem Geräusch zu, und das Flammenbild tanzte vor Milas Augen. Dann sah sie die leuchtende Gestalt eines großen Drachen auf sich zukommen. » Sie stecken im Wald, Nabu«, rief der Hochmeister vom Rücken dieser prachtvollen Erscheinung. » Vorwärts, wir werden sie ausräuchern!«
Marduk unterstrich den Befehl mit einem lauten Brüllen, dann stürzte er sich hinab. Nabu ließ das Bild verblassen. Die Verbindung riss ab, und Mila spürte nur noch, wie sie sich in die Tiefe stürzten. Sie fielen wie Steine, dann fing Nabu den Sturz so jäh ab, dass es Mila tief in den Sattel presste. Sie hörte, dass seine Flügel die Bäume streiften, und dann spie er fauchend Feuer in die Wipfel. Irgendwo in der Nähe hörte sie es ebenfalls fauchen, das musste Marduk sein. Flammen knisterten. Unter ihnen schrien Männer auf, und dann prallte ein Stein gegen Milas Rüstung. Nabu warf sich in der Luft zur Seite, fauchte und ließ erneut Feuer auf den unsichtbaren Feind hinabregnen. Hinter ihnen brüllten Behemoth und Schamasch. Auch sie waren jetzt über dem Feind. Mit dumpfem Klang prallten Steine gegen Nabus dicken Schuppenpanzer. Plötzlich wurde es ruhiger.
» Was ist los, Nabu?«, fragte Mila. Es kam ihr vor, als würden sie sich vom Geschehen entfernen.
» Das war’s«, keuchte Nabu, » jedenfalls, was das Feuer betrifft. Meine Lungen brennen schlimmer als jener Wald da hinter uns.« Er glitt nach Atem ringend weiter, dann sagte er: » Hoffen wir, dass es gereicht hat, um den Feind in die Flucht zu schlagen.«
Wieder krachte ein Schuss unter ihnen. Nabu flog eine niedrige Schleife, und Mila entging nicht, dass er dabei seine Flügel so wenig wie möglich bewegte. Brandgeruch wehte heran. Der Wind schien gedreht zu haben.
Rumi-Nahui war gegangen. Er hatte mit dem Curaca zu sprechen, und Kemaq wusste immer noch nicht, warum der große Feldherr zuerst mit ihm hatte reden wollen.
» Er hat viele neue Dinge erfahren, und er wollte wohl sichergehen, dass ich ihn nicht belogen habe, was dich betrifft«, meinte Pitumi, als er sie danach fragte.
» Und warum hast du ihn eingeweiht?«
» Was meinst du?«, fragte Pitumi ausweichend. Sie hielt seinem fragenden Blick nicht stand.
» Ich meine«, begann Kemaq, » dass du mir davon erzählt hast, dass Marachuna und Chachapoya frei sein sollten, frei von der Herrschaft des Sapay Inka, und ganz gewiss frei von der Herrschaft der Fremden. Wir werden kaum frei sein, wenn der größte Feldherr Atahualpas den mächtigen Stein in den Händen hält, oder?«
» Langsam beginnst du zu verstehen«, erwiderte Pitumi ruhig.
» Du hast vor, ihn zu hintergehen?«, fragte Kemaq, erschrocken über diese Schlussfolgerung.
» So ist es, Chaski«, gab sie freimütig zu. » Ich hoffe, er kann die Fremden und vor allem ihre fliegenden Götter lange genug aufhalten, damit du den Regenstein aus dem Tempel holen kannst.«
» Wenn sie gegen die Fremden kämpfen, werden viele Männer sterben«, stellte Kemaq fest. Er fühlte Wut in sich aufsteigen über die Kaltblütigkeit, mit der Pitumi andere für ihre Ziele benutzte.
» Mir blieb kaum etwas anderes übrig, Chaski«, erwiderte sie. » Rumi-Nahui wollte sich mit seinem ganzen Heer zu ebenjener Bergfeste zurückziehen, die den Weg in das Regental sperrt. Du wärst nie an ihm vorbeigekommen. Leider haben die Chachapoya, die für Rumi-Nahui kämpfen, ihm wohl auch einige der alten Geschichten erzählt. Er wusste schon von dem verborgenen Tempel, und dass er ein machtvolles Geheimnis birgt.«
» Seine Chachapoya – werden sie uns helfen?«, fragte Kemaq.
Pitumi schüttelte den Kopf. » Es ist doch nur eine Handvoll, seine Leibwache, und die haben Tamachoc fast vergessen. Dafür verehren sie Rumi-Nahui fast wie einen Gott. Von ihnen ist keine Hilfe zu erwarten. Nein, nur wenige von uns folgen noch dem alten Weg. Ich fürchte, Kemaq, für mein Volk ist es schon fast zu spät. Ja, ich zweifle erstmals daran, dass wir es
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