Drachensturm
eigenwillig, für meinen Geschmack, und seit wir in diesem Land sind …«
» Ist es Euch auch aufgefallen?«, unterbrach ihn di Collalto.
Dem verblüfften Schweigen des Tresslers entnahm Mila, dass ihm nichts aufgefallen war.
» Sie benehmen sich wirklich merkwürdig, seit wir hier sind. Sie sind von einer seltsamen Unruhe befallen. Ich habe Horus gefragt, doch er konnte – oder wollte – mir nichts sagen.«
» Es hat vielleicht mit den Drachenbildern zu tun«, sagte der Hochmeister. » Oder dem Azoth«, fügte di Collalto nachdenklich hinzu.
» Vielleicht seid Ihr gewillt, Euch zunächst wieder um unsere gegenwärtigen Schwierigkeiten zu kümmern, Ihr Herren«, rief Tassilo von Neiblingen ungehalten.
Mila fragte sich, was der Azoth sein mochte, dieses Wort war ihr fremd. Wieder ein Gott? Natürlich war jetzt nicht der rechte Moment, danach zu fragen. Die Meister des Ordens waren mit anderen Dingen beschäftigt – ja, es fiel ihr jetzt wieder auf, dass sie bislang überhaupt noch niemand nach ihrer Meinung zu dem ganzen Vorgang gefragt hatte. Als Nabu sie ausgewählt hatte, war sie so verblüfft gewesen, dass sie zunächst sprachlos gewesen war. Und danach war sie gar nicht mehr zu Wort gekommen. Jetzt stand sie hier in der Kammer, und die Meister des Ordens stritten sich über ihren Kopf hinweg.
» Das Gesetz. Wir erklären den Drachen einfach, dass das Gesetz des Ordens weibliche Ritter nicht zulässt«, rief der Tressler.
» Es gibt Präzedenzfälle«, wandte der Marschall ein.
» Schildmaiden, nur Schildmaiden! Weder Eure Königin Richeza noch die heilige Martha von Tarascon saßen je auf einem Drachen!«, widersprach Tassilo scharf.
» Johanna von Orleans«, entgegnete di Collalto gelassen.
Mila runzelte verblüfft die Stirn. Was hatte die heilige Johanna mit den Drachen zu tun?
» Oh, nein, die war nie ein Mitglied dieses Ordens!«, widersprach der Tressler.
» Das ist wahr, aber der Hochmeister selbst hat ihr damals einen Sattel angeboten«, erklärte der Marschall, und Mila hatte den Eindruck, dass es ihm Spaß machte, Graf Tassilo zu reizen.
» Das waren andere Zeiten, ein anderer Hochmeister, und es gab für dieses Angebot gute politische Gründe«, hielt ihm der Tressler entgegen.
» Das wird die Drachen nicht interessieren«, erwiderte di Collalto. » Sie alle kennen den Fall, besser als wir selbst, und sie haben es bestimmt nicht vergessen.«
» Ihr habt Recht, Lorenzo, wir werden keine Argumente finden, die einen Drachen umstimmen könnten. Es ist an meiner Nichte, Nabu seine Entscheidung auszureden«, sagte der Hochmeister jetzt.
» Und Ihr glaubt, das kann sie?«, fragte der Tressler zweifelnd.
Mila räusperte sich.
» Nun, wir können ihr helfen«, schlug der Hochmeister vor.
Mila räusperte sich noch einmal. Als sie endlich spürte, dass ihr die verdiente Aufmerksamkeit zuteilwurde, sagte sie: » Verzeiht, Ihr Herren, doch Ihr redet schon sehr lange über Nabu, der nicht hier ist, und über mich, die ich hier stehe, aber nicht gehört werde.« Sie hörte ihren Onkel seufzen, vermutlich, weil er daran dachte, wie vergeblich sein Versuch gewesen war, sie zur Zurückhaltung zu mahnen.
» Ihr habt Recht, Comtesse, verzeiht bitte drei alten Männern, die sich den Kopf über schwere Probleme zerbrechen und darüber die Gebote der Höflichkeit vergaßen«, sagte di Collalto freundlich.
Mila hatte für sich eine Entscheidung getroffen. Sie hing mit der bleichen Flamme zusammen, die sie gesehen hatte: Ihr Leben lag in Dunkelheit, seit ihrer Geburt, denn sie litt am Drachenfluch, einer Krankheit, wie ihr Vater und andere Ritter des Ordens vor ihm. Nie sah sie mehr als eine leichte rötliche Verfärbung, wenn sie direkt in die Sonne oder ein starkes Feuer blickte. Sonst war sie von Finsternis umgeben. Und in diese lichtlose Welt war nun ein fahles Feuer getreten, schwach, rätselhaft, geheimnisvoll. Das musste etwas bedeuten, etwas, dem sie auf den Grund gehen musste. Also sagte sie: » Ich verstehe Eure Sorgen, Ihr Herren, und ich kann in vielem von dem, was Ihr anführt, gute Gründe erkennen, in anderem jedoch nicht.« Sie hörte den Tressler empört nach Luft schnappen, aber das kümmerte sie nicht. » Ich beklage jetzt auch nicht etwa einen Mangel an Höflichkeit, Marschall di Collalto, sondern einen Mangel an Achtung vor dem Recht. Ihr habt es selbst gesagt: Nabu steht es zu, seinen menschlichen Gefährten zu wählen, und er hat gewählt. Nun habe ich das Recht, diese Wahl
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