Drachentau
man in so einer Nacht nicht tun.«
Rosa kletterte auf seinen Rücken und sie flogen aufs Geratewohl über die Landschaft, über Wälder, schlafende Dörfer, kleine Flüsse und frisch gepflügte Felder. Sie hielt ihr Gesicht in den Wind, schloss die Augen und lauschte gespannt. Ihr Herz jubelte, als sie es wieder hörte, das Lied der tausend Sterne, die über sie wachten. Heute Nacht sangen sie besonders schön, weil sie eine alte Bekannte wiedersahen.
Viel zu schnell war der Flug zu Ende und Tumaros nahm Kurs auf ihr zu Hause. Rosa legte sich atemlos neben ihn und schmiegte ihren Kopf an seine Nüstern. Er streckte seinen Flügel aus, deckte sie damit zu und in dieser Nacht kam der Zauber der Liebe über sie. Es dauerte nicht lange, bis Rosa bemerkte, dass sie wieder ein Baby erwartete.
Die Zwillinge waren kräftig gewachsen. Die Zeit des Schlafens und Trinkens wurde abgelöst von der Zeit des Tobens und Entdeckens. Mit den Kindern wuchsen auch die Schwierigkeiten, denn Tumaros war mürrisch, wenn man ihn beim Schlafen störte. Morgens, bevor die beiden erwachten, schlich Rosa hinaus und sammelte Pilze und Beeren für ihr Frühstück. Aber bei ihrer Rückkehr stand Emil im Torbogen und schaute zu seinem Drachenvater. Er lief Rosa entgegen. Sie legte den Finger auf die Lippen und nahm ihn auf den Arm.
»Wo warst du Mama? Hast du Pilze gesucht? Zeig mal!« Emil zerrte an ihrem Korb.
»Psst, leise. Du kannst sie gleich sehen. Warte noch.«
Eilig ging sie in die hintere Kammer. Ella schaute erwartungsvoll. Rosa setzte Emil ab und beide fingen an, an ihrem Korb zu ziehen.
Lachend stellte Rosa ihn auf den Boden. »Bitte schön, ihr Quälgeister. Seht nach, was drinnen ist.«
»Och, das sind ja nur Beeren und Pilze«, schmollte Ella.
»Wann dürfen wir in den Wald?«, wollte Emil wissen.
»Es dauert nicht mehr lang. Habt noch etwas Geduld, ihr seid noch zu klein.«
Rosa wusste nicht, wie Tumaros reagierte, wenn die beiden nach draußen liefen. Sie wollte noch warten, bis sie größer wurden.
»Wartet hier hinten. Ich gehe die Pilze waschen, dann komme ich wieder.«
Emil und Ella sahen Rosa hinterher.
»Komm, Ella, wir schauen, was Mama macht.« Emil zog seiner Schwester am Arm.
»Nein, Emil, wir sollen hier bleiben«, sträubte Ella sich.
»Ach, was, komm schon. Wir gehen doch nur bis da vorne.«
Emil ging los und zog seine Schwester mit sich. Die folgte ihm zögerlich. Sie gingen immer weiter durch die Höhle. Nichts geschah. Tumaros lag in der Nähe des Ausgangs und schien zu schlafen. Die Zwillinge gingen langsam an ihm vorbei. Er rührte sich nicht, schien sie gar nicht zu beachten. Vielleicht hatte er ja gar nichts dagegen, dass sie an ihm vorbeigingen? Die Geschwister schauten sich an, Emil zuckte kurz mit dem Schultern und sie schlichen weiter. Sie hatten den Höhlenausgang fast erreicht, sahen sich schon draußen, als plötzlich Tumaros‘ Schwanzspitze durch die Luft sauste, direkt vor ihnen mit Donnern aufschlug und sie zu Boden riss. Sie blieben liegen, wagten kaum zu atmen.
»Ihr geht nirgends hin«, sagte Tumaros mit leiser, knurrender Stimme. Ella fing an zu wimmern. Emil legte den Finger auf seine Lippen und sah sie an. Noch immer rührten sie sich nicht. Rosa hatte den Lärm von draußen gehört, kam hastig hereingelaufen und sah die beiden zitternden Fellknäule am Boden liegen.
»Tumaros! Musst du die Kleinen so erschrecken? Sie zittern ja!«
Rosa nahm die beiden in den Arm und schaute Tumaros böse an. Aber sein Blick ließ sie erschaudern und schnell senkte sie die Augen auf den Boden.
»Sorge du dafür, dass sie hinten bleiben, dann passiert auch nichts«, sagte er knurrend.
»Ist schon gut. Ich ... natürlich ... ich pass auf.« Rosas Herz schlug ihr bis zum Hals. Eilig brachte sie ihre Kinder nach hinten. Ella und Emil schlangen die Arme fest um ihren Hals.
»Wir wollten zu dir Mama«, schluchzte Ella. »Papa hätte uns beinahe getroffen.«
»Warum dürfen wir nicht raus?«, fragte Emil. »Warum ist Papa so böse?«
»Er ist nicht böse, er ist nur besorgt um euch. Er will nicht, dass euch etwas passiert. Der Wald ist gefährlich.« Sie drückte die beiden fest an sich. Tumaros würde doch nicht die eigenen Kinder ...? Sie dachte an ihre erste Beule, als sie ungefragt aus der Höhle gegangen war. Sie musste einen guten Moment abpassen und dann mit ihm reden. Rosa strich sich über ihren Bauch. Im Herbst erwartete sie das nächste Baby. Diesmal war es nur eins.
Der Sommer
Weitere Kostenlose Bücher