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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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Kraftreserve und floss in meinen zerrütteten Geist.
    Langsam vermochte ich wieder klar zu denken.
    Doch ich war nicht in meinem Körper. Ich war im Himmel und sah mit den alten Augen des blauen Drachen hinab. Unter mir zogen grelle Linien in wogenden Strömen über die Erdoberfläche. Pulsierende Punkte der Lebenskraft ruhten, gingen, flogen oder rannten über das Liniengitter und sammelten oder verloren Kraft an Land und in der Luft. Ich hatte den ätzenden Geschmack ungezügelter Energie auf der Zunge.
    Meine Vision entglitt mir und mein Geist stürzte zurück aufs Podium. Inzwischen stand ich. Wann hatte Ido aufgehört, mich zu Boden zu drücken? Wann war er an seinen Platz zurückgekehrt? Über uns wartete der Drachenkreis. Ich spürte, wie der Wind mir in Augen und Mund wehte und mir der erste Monsunregen auf die Haut prasselte. Meine Arme hoben sich, um Macht aufzunehmen. Aber nicht ich war es, der sie hob.
    Eine gewaltige Kluft hatte sich zwischen meinem Geist und meinem Körper aufgetan.
    Meine Augen wurden nach links gezwungen, bis ich Ido ansah. Er lächelte, hob die Hand und bewegte sie ein wenig nach hinten. Sofort bog sich meine Linke so weit zurück, dass ich fürchtete, meine Sehnen würden reißen, meine Knochen brechen. Doch ich spürte nichts. Begreifen durchfuhr mich.
    Ido beherrschte meinen Körper.
    Er hatte sich meines Willens bemächtigt.
    Ich schrie, doch mein Mund öffnete sich nicht und kein Geräusch drang mir aus der Kehle. Ein grausames Hochgefühl liebkoste mich, als er mein Handgelenk wieder losließ. Ich konnte keine Tränen vergießen, doch innerlich schluchzte ich vor Angst und Zorn.
    Es wird schlimmer, wenn du dagegen ankämpfst, säuselte seine Stimme in meinen Gedanken, triefend vor geheucheltem Mitleid.
    Meine Beine schritten steif zur Mitte des Podiums, und mein Oberkörper bewegte sich ruckartig mit. Die ungewöhnlich langen Schritte ließen meine verletzte Hüfte schmerzen.
    »Drachenaugen«, rief ich, doch es waren Idos Worte, die meine Zunge und meine Lippen bildeten. Er konnte mich alles tun und sagen lassen und ich vermochte ihn nicht daran zu hindern.
    »Schickt Eure Drachen, um dem Sturm zu begegnen. Umkreist seine Mitte.«
    Er benutzte mich, um die Richtung des Monsuns zu ändern. Warum? Er besaß den Drachenrat doch schon. Warum tat er mir das an?
    Durch dich werde ich den Drachenrat und sehr viel mehr bekommen. Mein Verstand wand sich unter Idos dunkler Freude und seinem stahlharten Ehrgeiz.
    »Lord Silvo, verringert Eure Kraft«, befahl er durch mich. »Zieht Euren Drachen zurück. Wir fangen an.«
    Die Zeit raste und zog doch quälend langsam dahin, während ich zwischen der Schönheit des Rattendrachen und dem furchtbaren Schrecken, von Ido beherrscht zu werden, hin und her gestoßen wurde. Ich tobte im Stillen, während er meinen Körper und meine Stimme nutzte, um die Drachenaugen zu lenken. Ich spürte seinen wilden Triumph, als er seine Macht mit meiner verband und mich aussaugte. Ich beobachtete so hilflos wie ehrfürchtig, wie der Kreis der Drachen die Energie des Sturms langsam aufnahm und in Richtung Stausee bewegte. Dann sah ich durch alte Augen, wie die Wolken plötzlich ihre ungeheure Wasserlast abregnen ließen.
    Das gewaltige Tier begriff offenbar, dass es seine Aufgabe erfüllt hatte und die vertrauten Ketten der Welt dort unten nachgeben und von ihm abgleiten würden. Ich spürte, wie der Drache sich sammelte und sich bereit machte, wieder frei zu sein.
    Und kurz bevor ich mich erneut der Trostlosigkeit auf dem Podium zuwandte, sah ich die Boten.
    Es waren sechs Männer, die von fern im gestreckten Galopp auf das Dorf zuritten, und sie trugen die Farben des Kaisers.
     
    Ich sank aufs Podium und rang nach Luft. Ido war weg. Er war nicht mehr in meinem Kopf. Ich breitete die Arme auf den kalten Steinen aus, genoss die Bewegung und kostete es aus, wieder Herr über meinen Körper zu sein. Mein linkes Handgelenk, das Ido überdehnt hatte, tat weh, doch selbst dieser Schmerz war mir willkommen. Ich hatte mein Selbst zurück.
    Doch für wie lange?
    Ich fuhr auf den Knien herum und starrte Ido an, der entspannt auf seinem Platz saß und nun ganz langsam und lächelnd den rechten Zeigefinger an die Lippen führte. Es schauderte mich. Zwar hatte ich meinen Körper – vorläufig – wieder, doch Idos lastende Macht schwebte weiter wie ein Schatten über mir.
    Rings um das Podium jubelten die Dörfler und warfen sich bäuchlings zu Boden. Die übrigen

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