Drachentochter
Ende zu bereiten.
Der Gedanke daran, wie rasch der Prinz Lehrer Prahn bestraft hatte, ließ mich frösteln. Dabei hatte es sich nur um den verzeihlichen Irrtum eines alten Mannes gehandelt. Und dann war da noch der junge Adlige gewesen, der den Prinzen versehentlich auf dem Übungsgelände mit der Waffe getroffen hatte; es hieß, der Prinz habe ihm drei Rippen gebrochen.
Was würde er mir antun? Einem Mädchen, das ihn getäuscht und betrogen und ihm Macht und gegenseitige Überlebenshilfe versprochen und dabei die ganze Zeit gewusst hatte, dass es log? Ich betete, die kleine Hoffnung, die ich zu bieten hatte, würde reichen, um seine Schwerthand innehalten zu lassen.
Ido hatte recht gehabt: Zum Sterben war ich nicht bereit. Jedenfalls nicht, solange es noch Hoffnung gab.
Dabei wusste ich nicht einmal, ob der Spiegeldrache noch auf mich wartete. Einen Moment lang war das schiere Wunder ihrer Existenz größer als meine Angst. Ein weiblicher Drache – was für eine unglaubliche Offenbarung für den Rat! Der Gedanke brachte mich auf die Frage, wie das Wissen über sie und ihre weiblichen Drachenaugen hatte verloren gehen können. Die Erinnerung an sie konnte doch nicht nur ein Opfer der Jahrhunderte geworden sein. Aber auch wenn man die Wahrheit über sie vor vielen Generationen absichtlich aus den Köpfen und Zeugnissen getilgt hatte, konnte der Drachenrat die Existenz des einzigen weiblichen Drachen nun nicht leugnen. Und wenn es mir gelänge, mich ganz mit ihr zu vereinigen, würden die Drachenaugen auch mich akzeptieren müssen.
Ein schöner Plan, doch ich spürte den Spiegeldrachen nicht mehr. Auf dem Steinkompass hatte ich nicht einmal ihre Umrisse erkennen können. Hatte das bloß an der doppelten Dosis Sonnenpulver gelegen oder war es eine schreckliche Schwäche in mir? Vielleicht hatte ich dem Kaiser ja doch nichts zu bieten. Womöglich war der Spiegeldrache endgültig verschwunden.
Ich wusste, dass ich in mein Hua eintauchen sollte, um nach ihr zu suchen. Dann hätte ich dem Kaiser wenigstens versichern können, dass der Spiegeldrache immer noch unter uns weilte. Doch was, wenn Ido mich in der Energiewelt spürte? Mich fröstelte. Er hatte gesagt, es passierte nur, wenn ich mich mit dem Rattendrachen verband. Doch ich wäre ein Narr gewesen, ihm zu trauen. Vielleicht konnte er sich meiner ja nun jedes Mal bemächtigen, wenn ich die Pfade des Hua betrat!
Ich merkte, dass ich mich am Beckenrand aufgerichtet hatte und die geflieste Wand ein fester Ankerplatz im Wirbel meiner Gedanken war. Ich musste es riskieren. Alles, was ich dem Prinzen bisher gebracht hatte, waren Lügen gewesen. Doch wenn ich überleben wollte, musste ich dem neuen Kaiser die Wahrheit bringen. Ich musste ihm die Hoffnung auf den Spiegeldrachen bringen.
Ich ertastete die abgeschrägten Haltegriffe am Beckenrand. Sei bitte da, betete ich und atmete einmal tief durch, um die lähmende Angst in der Brust zu lindern, und ein zweites Mal, um mein verkrampftes Herz zu entspannen. Sei bitte da, sei bitte da. Zitternd spiegelte sich das Bad auf der Wasseroberfläche; darunter bog und krümmte sich das Mosaik des Reichtumskreises der Neun Fische. Als ich innehielt, um mich für mein letztes Eindringen in die Energiewelt zu sammeln, ersehnte ich das Auftauchen des Spiegeldrachen mit ganzer Seele. Und zugleich fürchtete ich mich entsetzlich davor, Ido zu begegnen.
Das Badezimmer verschwamm. Ich drang tiefer ins Hua ein und stürzte mich an den grauen Resten des Sonnenpulvers vorbei in die wirbelnde Energie. Mir blieb nur Zeit für einen raschen Blick; dann musste ich mich wieder in Sicherheit bringen. Ich lauschte auf Idos Stimme in meinem Geist und achtete darauf, ob er mit eiserner Hand nach mir krallte. Nichts dergleichen. Um das Becken herum verdichteten sich gewaltige Energien, nahmen Gestalt an, wurden Mäuler, Augen, Hörner, Perlen. Die Drachen. Ich starrte auf die Lücke im Kreis und versuchte, wenigstens eine Andeutung roter Schuppen zu sehen, ein Schimmern der goldenen Perle. Nichts.
»Ich weiß, was du bist«, flüsterte ich. »Bitte verzeih mir. Zeig dich. Gib mir ein wenig Hoffnung.«
Plötzlich gab es eine rasche Bewegung. Der große blaue Kopf des Rattendrachen duckte sich auf die Höhe meines Gesichts herunter. Ich spürte, wie seine Energie sich auf mich konzentrierte. Seine Macht leckte über meine nasse Haut und stellte mir eine wortlose Frage. Ich wollte zurückweichen, doch ich stand ja schon an der
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