Drachentochter
Stirn. »Was?«
»Vor der Zeremonie hat mein Meister mir einen Tee gegeben, den ich jeden Morgen nehmen soll. Der Tee hat meine –« Ich konnte es nicht über die Lippen bringen.
»Der Tee verhindert die Mondtage«, sagte Rilla schnell. »Und das Sonnenpulver wird von Schattenmännern genommen, damit sie ihre Männlichkeit bewahren.«
Lady Dela nickte. »Ryko nimmt dieses Pulver.« Sie musterte mich aufmerksam. »Ihr habt es also auch genommen?«
»Ich dachte, es würde mir helfen, mich mit meinem Drachen zu vereinen«, sagte ich abwehrend. »Ido nimmt es, um seine Verbindung mit dem Rattendrachen zu stärken.« Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen, da ich plötzlich noch einen Zusammenhang erkannte. »Ich glaube, der Spiegeldrachen ist schneller verblasst, nachdem ich angefangen habe, das Sonnenpulver zu nehmen.«
»Könnte es sein, dass weibliche Energie den weiblichen Drachen anzieht?«, flüsterte Lady Dela.
Ihre Worte ließen meinen Atem stocken und ihre Wahrheit hallte in mir wider. Der Spiegeldrache wurde von weiblicher Energie angezogen, und ich hatte alles getan, um diese Energie zu unterdrücken.
»Wenn Ihr also aufhört, den Tee und dieses Pulver zu nehmen, könnt Ihr Euren Drachen anrufen«, fuhr sie fort. »Sagt bitte, dass ich recht habe.«
Ich senkte den Kopf. »Es gibt da noch eine Schwierigkeit.«
Lady Dela und Rilla warteten angespannt.
»Ich kenne den Namen meines Drachen nicht. Und ohne ihren Namen kann ich ihre Macht nicht heraufbeschwören.« Die bittere Ironie dessen, was ich als Nächstes sagen würde, rang mir ein humorloses Lächeln ab. »Und es gibt nur einen Ort, an dem ich ihren Namen vielleicht finden könnte: das rote Buch.«
»Das Buch also, das Ihr Lord Ido mit Rykos Hilfe gestohlen habt?«, fragte Lady Dela.
Ich nickte. »Und das er vor einigen Stunden zurückgestoh len hat.« Ich spürte noch immer, wie brutal er von mir Besitz ergriffen hatte, und ertrug es nicht, daran zu denken. Stattdessen legte ich den Kopf in den Nacken und biss die Zähne zusammen, um nicht weinen zu müssen. »Auch das Buch ist in Frauenschrift verfasst. Ihr hättet es mir vorlesen können.« Ich schluckte. »Dann wüsste ich jetzt den Namen meines Drachen.«
Rilla legte mir die Hand aufs Knie. Diese kleine Geste machte es mir noch schwerer, meinen Kummer zurückzuhalten.
Lady Dela sah mit gerunzelter Stirn in die Ferne. »Aber das bedeutet, dass es immer noch einen Weg für Euch gibt, Ihre Macht zu gewinnen.« Der nüchterne Höfling in ihr hatte sich behauptet. Sie nickte. »Wir müssen das rote Buch zurückbekommen.«
Eine gewaltige Hoffnung ergriff mich. Wenn ich erst meinen Drachen hätte, könnte Ido mir nichts anhaben. »Wir haben es ihm einmal weggenommen«, sagte ich rasch. »Also schaffen wir es auch ein zweites Mal.«
Sie hob die Hand. »Aber erst müsst Ihr den neuen Kaiser warnen, dass er sich nicht auf Eure Kraft verlassen kann. Und auch nicht auf die Unterstützung des Rats.«
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, er wird mich töten. Wir müssen zuerst das rote Buch finden.«
Sie musterte mich kalt. »Es ist Eure Pflicht, es ihm zu sa gen. Und wenn Ihr es nicht tut, werdet Ihr auf jeden Fall sterben. Ryko wird Euch töten, falls Ihr den Kaiser erneut betrügt.« Sie sah aus der Kutsche auf die dunkle Gestalt des Insulaners, der vor uns ritt. »Es wird jetzt schon schwer sein, ihn davon abzuhalten, Euch die Kehle durchzuschneiden, wenn er von Euren Lügen erfährt.« Sie seufzte. »Sein Glaube an Euch war gewaltig. Genau wie der meine.«
Ich stellte mir kurz Rykos Gesicht vor, wenn er die Wahrheit erfuhr. Mich fröstelte – nicht allein vor Angst, sondern auch weil ich wusste, wie tief mein Verrat ihn verletzen würde.
Lady Dela lehnte sich in ihren Sitz zurück. »Wir alle müssen zu den Göttern beten, dass der Kaiser Euch nicht sofort umbringen lässt. Hoffentlich habt Ihr Zeit genug, ihm zu sagen, dass es noch eine Hoffnung gibt, die Macht des Spiegeldrachen für Euch zu gewinnen.«
»Eine sehr kleine Hoffnung«, versetzte ich.
»Ihr solltet Euch daran klammern, so fest Ihr könnt«, sagte Lady Dela ungerührt. »Euer Leben hängt davon ab.«
Wie saßen einen Moment lang einfach nur da. Die furchtbaren Möglichkeiten, die uns drohten, hatten uns die Sprache verschlagen.
»Gut«, erklärte Lady Dela schließlich. »Ich muss es Ryko sagen.« Sie erhob sich von ihrem Platz und tippte dem Kutscher auf die Schulter. »Anhalten.« Sie drehte sich zu mir um.
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