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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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dasaßen. Es war eine Erleichterung, als Callan endlich zu uns Anwärtern zurückgestolpert kam, sich niederkniete, die Schwerter vor sich in den Sand legte, sich tief über sie beugte und stoßweise nach Luft rang.
    Quon wurde aufgerufen.
    Gleich würde ich an der Reihe sein.
    Quons Eröffnungsfiguren in der Pferdedrachensequenz waren gut und sicher. Seine zweite Figur war eine tadellose Verteidigung. Ich kniff die Augen zusammen, um mich auf die Gesichter der wirbelnden und rasch hin und her springenden Gestalten zu konzentrieren. Rief Jin-pa Quon zu, welche Figur als nächste kam? Es war schwer zu sagen, da sein Helm mich keine Einzelheiten erkennen ließ. Der Jubel der Menge galt der Geschicklichkeit, mit der Quon aus der schwierigen Abwehr des Dritten Affendrachen in eine Reihe wuchtiger Gegenstöße überging. Er lieferte eine glänzende Vorstellung ab. Der Beifall am Ende der Sequenz ließ die dunklen Drachenspiegel an den steinernen Barrikaden erzittern. Als Quon sich mit Jin-pa vor dem Kaiser verneigte, sah ich auf seinem Gesicht kurz ein breites Lächeln. Seine Vorfahren mussten seine Gebete erhört haben.
    Wieder eilten die kaiserlichen Herolde in die Mitte der Arena. Ihr tiefer Gongschlag klang wie eine Totenglocke.
    »Anwärter Eon«, riefen sie im Chor. »Tretet Schwertmeis ter Ranne entgegen und erweist Euch des Rattendrachen wür dig.«
    Der Jubel war dünn und konnte das neugierige Murmeln nicht übertönen. Jetzt kommt der Krüppel. Ich stand auf und war froh, nichts gegessen zu haben, denn so konnte mir nichts hochkommen. Ich machte einen zögernden Schritt und spürte noch immer keinen Schmerz in der Hüfte. Vielleicht hatte der heiße Sand ihn gelindert. Ich sandte ein stilles Gebet an meine Vorfahren Charra und Kinra und bat sie um Kraft, Geschicklichkeit und Ausdauer, um alles das also, was mir fehlte. Dann steckte ich mir die Schwerter unter die Arme und fasste die aufgewühlte Sandfläche ins Auge. Ich brauchte nur einen Schritt nach dem anderen zu machen, um sie zu erreichen. Ranne gesellte sich zu mir und passte sich meinem Tempo an, doch ich sah nicht auf. Ein Schritt nach dem anderen. In der Arena war es still: kein Getrampel, kein Rufen – nur die lauernde Erwartung, bevor die Beute zur Strecke gebracht wird.
    Ranne würde sich gewiss nicht über die Entscheidung des Rats hinwegsetzen.
    »Schwertmeister, ich habe –«
    »Sei still«, zischte er mich an.
    Für einen Moment versank die Arena in meiner hellen Panik. Ich stolperte, und erst das plötzliche Aufgleißen der Jade- und Mondsteine an meinen Schwertgriffen ließ mich die Welt wieder klarsehen. Jedes Juwel schien von innen erleuchtet und zog meinen Blick in seine durchscheinende Tiefe. Etwas ging durch mich hindurch.
    Kraft, die aus dem Stahl und dem Silber kam. Lebenslange Kampferfahrung. Ein altes Wissen.
    Plötzlich wusste ich genau, was ich wollte.
    Behalte die Sonne stets im Rücken, sodass sie ihm in die Augen scheint. Verteile dein Gewicht gleichmäßig. Trete nie über Kreuz. Sieh dir den Kampfplatz an und suche nach Vorteilen. Umklammere die Schwertgriffe nicht zu fest, damit dein Hua fließen kann – es sei denn, du willst mit der Hammerfaust dreinfahren.
    Ich blickte auf meine Rechte. Die Hammerfaust war uns nie beigebracht worden …
    Ranne betrat den Kampfplatz und wandte sich dem Spiegel des Rattendrachen zu. Ich folgte der Bewegung und erschrak einen Moment lang, als ich mich von Kopf bis Fuß im Spiegel sah: schief, feingliedrig, mit dem glatten, ovalen Gesicht eines Kindes. Ob alle Zuschauer einen mädchenhaften Jungen vor sich sahen? Einen Mondschatten? Jeder wusste ja, dass Kastration die Knochen und Muskeln weiche Kurven annehmen ließ. Ja, die Gestalt im Spiegel würde vor ihnen bestehen. Dennoch war es ein Glück, dass die meisten Menschen beim Anblick eines Krüppels wegsahen.
    Sofern er nicht gegen einen Schwertmeister antrat.
    Neben mir verbeugte sich Ranne. Ich tat es ihm eilends nach und nahm dabei im Spiegel das groteske Nebeneinander seines gepanzerten Schmerbauchs und meiner schlanken Gestalt wahr. Über dem Spiegel beugte Lord Ido sich vor. Seine geheuchelte Lässigkeit war verschwunden. Ich überflog die Reihen hinter ihm und entdeckte meinen Meister. Er saß aufrecht da und hatte mir sein fahles Gesicht zugewandt.
    »Mach dich bereit«, sagte Ranne und stellte sich mit dem Rücken zur Sonne. Er wirbelte die Schwerter nach außen und um seinen Körper herum in einer faszinierenden Vorführung

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