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Drachentränen

Drachentränen

Titel: Drachentränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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»sondern stinksaure Polizisten, die einen schlechten Tag hatten und nicht in der Stimmung sind, sich von einem pingeligen Scheißer den Zutritt verweigern zu lassen, weil wir seine erlesenen Gäste stören könnten.«
    Man wies ihnen liebenswürdig einen Ecktisch an, der nur ganz zufällig im Dunkeln und ein gutes Stück von den meisten anderen Gästen entfernt war.
    Unverzüglich erschien eine Cocktailkellnerin, sagte, ihr Name sei Bambi, zog die Nase kraus, lächelte und nahm ihre Bestellung auf. Harry bestellte Kaffee und einen gebratenen Hamburger, medium, mit Cheddarkäse.
    Connie wollte ihren Hamburger blutig, mit Schimmelkäse und reichlich rohen Zwiebeln. »Für mich auch Kaffee, und bringen Sie uns beiden einen doppelten Cognac, R6my Martin.« Zu Harry sagte sie: »Genau genommen sind wir schon lange nicht mehr im Dienst. Und wenn du dich genauso beschissen fühlst wie ich, brauchst du etwas Kräftigeres für deinen Kreislauf als Kaffee und einen Hamburger.«
    Während sich die Kellnerin um ihre Bestellung kümmerte, ging Harry zur Herrentoilette, um sich die schmutzigen Hände zu waschen. Er fühlte sich genauso beschissen, wie Connie vermutet hatte, und der Spiegel im Waschraum bestätigte, dass er sogar noch schlimmer aussah, als er sich fühlte. Er konnte kaum glauben, dass das fleckige, hohläugige und von Verzweiflung zerfurchte Gesicht vor ihm tatsächlich seins war.
    Er schrubbte sich energisch die Hände, doch ein bisschen Dreck blieb hartnäckig unter seinen Fingernägeln und in einigen Hautfalten. Seine Hände sahen aus wie die eines Automechanikers.
    Er spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, doch davon sah er auch nicht frischer aus - und nicht weniger verzweifelt. Der Tag hatte ihm einen Tribut abverlangt, von dem er sich vielleicht nie ganz erholen würde. Der Verlust seines Hauses und seines weltlichen Besitzes, der grausige Tod von Ricky und die bizarre Kette übernatürlicher Ereignisse, die seinen Glauben an Vernunft und Ordnung erschüttert hatten. Seinen gequälten Gesichtsausdruck würde er bestimmt so schnell nicht los - sofern er überhaupt noch länger als ein paar Stunden lebte.
    Von der Seltsamkeit dieser Überlegung verwirrt, erwartete er fast, dass der Spiegel sich als magisch erweisen würde, wie Spiegel im Märchen das oft tun - ein Weg in ein anderes Land, ein Fenster zur Vergangenheit oder Zukunft, das Gefängnis, in dem die Seele einer bösen Königin gefangen war, ein sprechender Zauberspiegel wie der, von dem Schneewittchens böse Stiefmutter erfuhr, dass sie nicht mehr die Schönste im Lande war. Er legte eine Hand auf das Glas, warme Finger trafen auf eine kalte Fläche, aber es passierte nichts Übernatürliches.
    Dennoch, wenn man die Ereignisse der letzten zwölf Stunden bedachte, war es nicht völliger Wahnsinn, mit Zauberei zu rechnen. Er kam sich vor, als sei er in irgendeinem Märchen gefangen, einem der düsteren wie Die roten Schuhe, in dem die Figuren furchtbare körperliche Qualen und seelisches Elend erleiden, auf schreckliche Art sterben und dann endlich mit Glückseligkeit belohnt werden, aber halt nicht in dieser Welt, sondern im Himmel. Es war eine unbefriedigende Geschichte, wenn man sich nicht ganz sicher war, dass der Himmel tatsächlich dort oben war und auf einen wartete.
    Der einzige Hinweis darauf, dass er nicht in einer fantastischen Geschichte für Kinder gefangen war, war das Fehlen eines sprechenden Tiers. Sprechende Tiere sind mit noch größerer Sicherheit in Märchen anzutreffen als psychopathische Mörder in modernen amerikanischen Filmen.
    Märchen. Zauberei. Monster. Psychose. Kinder.
    Plötzlich hatte Harry das Gefühl, dass er nahe an einer Einsicht war, die etwas Wichtiges über Ticktack klarmachen würde.
    Zauberei. Psychose. Kinder. Monster. Märchen.
    Die Erkenntnis entzog sich ihm.
    Er bemühte sich darum. Sinnlos.
    Er stellte fest, dass er die Fingerspitzen nicht mehr nur leicht gegen ihr Spiegelbild hielt, sondern die Hand so fest gegen den Spiegel drückte, dass er durchaus einen Sprung ins Glas hätte machen können. Als er seine Hand wegnahm, blieb einen Augenblick lang ein verschwommener, feuchter Abdruck zurück, der rasch verdunstete.
    Alles verschwindet. Einschließlich Harry Lyon. Vielleicht schon im Morgengrauen.
    Er verließ die Toilette und ging zu dem Tisch in der Bar zurück, an dem Connie auf ihn wartete.
    Monster. Zauberei. Psychose. Märchen. Kinder.
    Die Band spielte ein Duke-Ellington-Medley in einer modernen

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