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Drachenwacht: Roman (German Edition)

Drachenwacht: Roman (German Edition)

Titel: Drachenwacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Naomi Novik
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er
nahm lediglich die Papiere entgegen und steckte sie in seine Manteltasche. Als Temeraire genauer hinschaute, fiel ihm zum ersten Mal auf, dass Laurence die goldenen Balken nicht auf seinen Schultern trug, die die anderen Kapitäne kennzeichneten.
    Temeraire wollte nicht fragen, weil er die Antwort nicht hören wollte, aber er konnte nicht anders. »Ja, ich bin ebenfalls aus dem Dienst entlassen worden. Aber das tut jetzt nichts zur Sache«, fügte er einen Augenblick später hinzu, obwohl es natürlich mehr als alles andere etwas zur Sache tat. »Wir müssen aufbrechen.«
     
    Laurence stand an der Brustwehr im höher gelegenen Hof der Burg von Edinburgh und sah hinaus aufs Meer. Temeraire lag irgendwo auf dem dunklen Stützpunkt unterhalb der Burg, einer gähnenden Dunkelheit neben der erleuchteten Stadt, die sich rings um die Festung erstreckte bis hin zum Fluss Forth. Unruhig tanzten die Schiffe auf dem Wasser, und der Wind blies Laurence scharfe Nadeln gefrorenen Regens ins Gesicht. In der Ferne konnte er eine Handvoll Lichter sehen, die sich zu hoch in der Luft bewegten, um Schiffe zu sein: Es waren einige Drachen auf Patrouille.
    »Weitere dreihunderttausend von diesen Strolchen liegen noch an der Küste von Calais bis Boulogne und warten auf ihre Chance«, sagte ein Marinesergeant zu einem Kameraden, als die beiden auf ihrer Runde an Laurence vorbeikamen, und er spuckte aggressiv über die Zinnen in Richtung Meer, als könne er so den weit entfernt lagernden Feind treffen.
    Sie hatten Laurence nicht gesehen. Wellesley und seine Leute befanden sich in den Turmzimmern; man hatte Laurence nach draußen geschickt, wo er warten sollte, bis man ihn hereinriefe, obwohl es eine kalte und nasse Nacht war. Die Steine waren von Eis überzogen. In den Vorzimmern wäre genügend Raum zum Warten für ihn gewesen: Es war eine wohlüberlegte Demütigung. Die Kälte kroch durch Laurence’ Kleidung, und sein lederner Mantel bot ihm keinen Schutz. Aber er hatte sich trotzdem entschieden, am äußersten Rand
der Brustwehr zu stehen, außerhalb des Laternenscheins, sodass er in die Ferne sehen konnte. Es war nur ein romantischer Impuls gewesen. Zu dieser Stunde gab es nichts von Bedeutung zu entdecken.
    »Er wird heute Nacht weitere tausend Mann rüberschaffen«, fuhr der Sergeant fort. »Jede Nacht tragen diese verfluchten Fleur-de-Nuits sie her. Aber vor zwei Tagen hat die Marine einen von ihnen abgeschossen«, ergänzte er mit niederträchtiger Befriedigung. »Ins Meer gefallen wie ein Stein ist das Biest, und zweihundert Frösche auf dem Rücken, wie ich hörte. Aber meistens sind sie überhaupt nicht zu sehen.«
    »Ich habe gehört, dass sie Weedon niedergebrannt haben«, sagte der junge Soldat. »Und ich habe noch gehört, dass sie die Drachen darauf angesetzt haben, um dort alles dem Erdboden gleichzumachen.«
    »Verfluchte jakobinische Mistkerle«, sagte der Sergeant düster. »Bitte um Verzeihung, Sir«, ergänzte er, als er Laurence sah, und legte die Hand an den Hut.
    Er nickte ihnen zu, und sie bezogen schweigend wieder ihre Posten. Eine Tür öffnete sich an der Seite des Turms, und laute Stimmen wehten heraus, bis sie sich mit einem leisen Quietschen wieder schloss. Wieder gab es erhitzte Debatten um Strategien und Opfer. Laurence hob den Blick, aber es war nicht Wellesley oder einer seiner Adjutanten. Es war ein alter Mann in Nachthemd und Bettschuhen, der vor sich hinmurmelte, als er in den Regen hinaustrat. Sein Haar war grau und ausgedünnt, und ohne Perücke lag es platt auf seiner Kopfhaut. Er lief mit dem unsicheren Schritt eines Rheumakranken, und er suchte sich den Weg zur Kapelle quer über den Hof.
    »Ist das der Vikar?«, flüsterte der junge Marinesoldat. »Um diese Stunde?«, antwortete der Sergeant zweifelnd, und beide sahen zu Laurence hinüber.
    Dieser schritt ebenfalls über den Hof, um an die Seite des Mannes zu gelangen, der auf den eisigen, schlüpfrigen Steinen keinen sicheren Tritt zu finden schien. Er sprach mit sich selbst, eine Flut
unverständlicher Worte, die selbst dann ohne Sinn blieben, als Laurence nahe genug herangekommen war, um genauer lauschen zu können. »Pferde«, sagte der alte Mann, »Pferde und Maultiere und Getreide für drei Wochen, und Kopenhagen, die Flotte in Kopenhagen. Dreiunddreißig Pfund.«
    Er schien es überhaupt nicht zu bemerken, dass Laurence näher kam, bis er ihn ansprach: »Sir, sollten Sie nicht besser wieder hineingehen?«
    »Das werde ich nicht«,

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