Drachenwacht: Roman (German Edition)
sich vor und riss das Tier mit einer Vorderklaue in die Luft. Ohne viel Federlesens wurde der
Reiter abgeschüttelt, und mit Begeisterung öffnete der Drache das Maul so weit wie möglich und biss dem um sich tretenden Pferd den Kopf ab. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten die französischen Drachen schon sehr lange nicht mehr allzu viel zu fressen bekommen.
Der Effekt, den dieser mitleiderregende Anblick auf den Rest der Kavallerie hatte, war vorauszusehen gewesen. Die Reiter ließen ihren Tieren die Zügel schießen, und die Pferde drehten ab und galoppierten zurück in Richtung der englischen Reihen, ohne auch nur bis auf zehn Meter an den Infanterieblock herangekommen gewesen zu sein. Der Pou-de-Ciel sprang wieder davon, sobald die Reiterei geflohen war, ehe die englische Artillerie ihn unter Beschuss nehmen konnte, denn er wollte sich ein wenig ausruhen und nebenbei etwas zum Abendbrot fressen.
Weiter hinten in der französischen Armee sah Laurence, dass noch mehr feindliche Drachen außerhalb der Schussweite inmitten ihrer davon unbeeindruckten Infanterie-Kompanien landeten, um sich ebenfalls ein bisschen auszuruhen.
»Also, ich brauche keine Pause«, behauptete Temeraire tapfer, »aber da kommen Ballista und Requiescat mit Nachschub aus unseren Reihen. Eigentlich hätte ich auch nichts dagegen, nur mal kurz, vielleicht für eine Minute, zu landen und eine Kleinigkeit zu fressen«, fügte er hinzu.
»Ich glaube, das können wir nicht«, sagte Laurence grimmig. »Er schickt seine Reserven.« Der Nebel lichtete sich nun ein wenig und trieb vom Land weg, und weit hinter den französischen Reihen sprangen einer nach dem anderen die französischen Drachen in die Luft. Und nun machte sich deren Vorteil bemerkbar: Keiner der französischen Drachen, die immer wieder kurze Pausen eingelegt hatten, zog sich zurück. Es würde keine Ruhe für Temeraire oder irgendeinen anderen der englischen Drachen geben, die seit dem ersten Tageslicht in der Luft waren und kämpften.
Temeraire zog abrupt nach oben, sodass Laurence in seine Ledergurte
geworfen wurde. Eine entschlossene Gruppe von sechs kleinen Garde-de-Lyons war frisch aufs Schlachtfeld geströmt und hatte ihn in einem Block angegriffen. Nun schrien sie mit aufgeregten Stimmen und bearbeiteten wild seinen Kopf und seinen Hals und schlugen mit Flügeln und Klauen.
Temeraire ruderte mit zwei mächtigen Schlägen zurück und brüllte, um sie auseinanderzutreiben. Der Druck des Göttlichen Windes warf sie zurück, doch in diesem Augenblick schnellte der riesige Grand Chevalier, den sie schon zuvor gesehen hatten, an ihnen vorbei und warf sich auf den Block der Coldstream-Garde.
Die Piken und Bajonette wurden noch höher gereckt, aber der Drache flog gar nicht unmittelbar darauf zu. Stattdessen landete er direkt vor den ersten Reihen, und der Aufprall war so heftig, dass einige der Männer von den Füßen gerissen wurden. Dann drehte er sich um und brüllte ihnen mitten in die Gesichter. Es war ein ganz normaler Angriff, aber ein Drache in der Größe einer Scheune, der aus einer Entfernung von weniger als zehn Schritten brüllte, würde auch den tapfersten Mann erbleichen lassen. Bajonette erzitterten und wurden sinken gelassen, und dann standen mit einem Mal zwanzig Gewehrschützen auf dem Drachenrücken und feuerten eine furchtbare und konzentrierte Salve in die vor Entsetzen gelähmten Reihen.
Etliche Männer gingen zu Boden und öffneten so eine ungeschützte Lücke in der Mauer des Blocks. Der Grand Chevalier streckte ein mächtiges Vorderbein in diesen Zwischenraum und wischte durch die Reihen bis zum Rand, wobei er Männer und Piken gleichermaßen wie Grashalme zerschmetterte. Temeraire brüllte wutentbrannt auf und stieß hinab zu dem Grand Chevalier, aber einer der Garde-de-Lyons warf sich ihm in den Weg. »Das reicht«, schrie Temeraire wutentbrannt. »Und überhaupt sind die Soldaten viel kleiner als Sie.« Er packte den kleinen Drachen mit den Klauen im Nacken, schüttelte dessen Kopf hin und her und brach ihm damit das Genick. Es war ein einziges, entsetzlich schnappendes Geräusch. Dann ließ er das Tier
vom Himmel fallen, ein kleiner Fleck in Scharlachrot und Blau, und ein halbes Dutzend Männer seiner Mannschaft stürzte wie fallende Blätter durch die Luft hinterher.
Der Garde-de-Lyon hatte mit seinem Leben dafür bezahlt, dass er den Franzosen die dringend benötigte Zeit verschaffte. Von unten war der Grand Chevalier erneut aufgestiegen, und mit
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