Drachenwacht: Roman (German Edition)
große Bögen beschrieben, statt geradeaus zu fliegen. Sie alle warteten auf sein Signal. Wenn er doch nur von irgendwoher einen kleinen Ratschlag bekommen könnte …
Aber er war ganz auf sich gestellt. Er zitterte, aber es war sinnlos, feige zu sein. Niemand würde ihm helfen, und er würde alles allein entscheiden müssen. Am Boden schliefen die beiden Chevaliers auf einem Hügel direkt unterhalb der niedrigen, unebenen Erdwälle, an denen hin und wieder Wachen entlangpatrouillierten. Im Lager waren die Feuer überall verstreut. Als sich der Wind ein wenig drehte und den Geruch der Drachen hinunterwehte, hob eines der Pferde seinen Kopf und wieherte unruhig. Ein anderes scharrte auf dem Boden und schüttelte seine Mähne.
»Ce n’ est rien, ce n’ est rien«, sagte ein Mann, der in ihrer Nähe sein Abendbrot verspeiste.
Temeraire füllte seine Lungen mit Luft, dachte an Laurence und brüllte seine Herausforderung hinaus.
Sein dröhnendes Röhren versiegte lange nicht. Die Chevaliers sprangen sofort auf ihrer Lichtung auf, und ihre Flügel spreizten sich, noch ehe sie ihre Augen geöffnet hatten. Dann brüllten sie eine zornerfüllte Erwiderung, und ihre Köpfe flogen hin und her, als sie den Himmel nach ihrem Angreifer absuchten. Die Männer rannten aus den Zelten zu ihren Drachen. Temeraire sah, wie ein Kapitän mit goldenen Balken auf den Schultern von einem Tier auf den Rücken gehoben wurde. Nur mit halber Besatzung stiegen die Chevaliers in die Luft, und einige Männer versuchten, durch einen Sprung vom Boden aus noch das Geschirr zu fassen zu bekommen, als die Drachen schon abgehoben hatten.
»Je suis là!«, schrie Temeraire und entfernte sich vom Lager mit heftigen Flügelschlägen nach hinten. Dann brüllte er erneut. »Me voilà!« Die Gegner drehten mitten in der Luft ab und schossen mit
gebleckten Zähnen auf ihn zu. Er blieb reglos stehen und wartete ab, dann ließ er sich im Sturzflug fallen, die Flügel eng angelegt, während sie an ihm vorbeisausten. Auf ihren Rücken blitzte Gewehrfeuer auf. Hinter ihnen glitt Gentius elegant über das Lager, seine riesigen Flügel weit ausgebreitet, und spuckte Säure über eine Reihe von zehn Kanonen.
Inzwischen wurden wie besessen die Alarmglocken geläutet und Fackeln entzündet, Männer eilten zusammen und formierten sich zu Reihen, während ein halbes Dutzend Pferde wieherte und sich gegen die Männer, die ihr Zaumzeug hielten, zur Wehr setzte. Unwillkürlich durchfuhr Temeraire eine Welle von Erregung, die ihn beinahe überwältigte, als Requiescat, Ballista und Majestatis durch das Lager stoben und ihre Klauen und Schwänze durch die Zelte, Befestigungen und Feuer hieben, was alles in größtes Chaos stürzte, während die roten Banner im Schein der Brände, die sofort überall ausbrachen, leuchteten.
Er tauchte ab, schloss sich der langen, geraden Reihe seiner Kameraden an und stellte seine Halskrause auf. Ohne Unterlass überflogen sie ein ums andere Mal das Lager und zerrten Zeltplanen, Seile und alles, was sie sonst noch mit den Klauen zu fassen bekamen, in die Luft. Als sie wieder hoch genug gestiegen waren, um außer Reichweite der Kugeln zu sein, zerrissen sie alles und ließen es hinab aufs Lager regnen.
Dieser Vorschlag war von Perscitia gekommen, da sie keine eigenen Bomben zur Verfügung hatten. »Besonders gut wäre es, wenn ihr einige der Zelte schnappen und sie über den Schrapnellkanonen wieder fallen lassen könntet«, hatte sie gesagt – und ihr Plan war aufgegangen. Die meisten der Zelte verhedderten sich zwar, als sie zu Boden gingen, doch eines öffnete sich günstig und glitt sanft hinunter, wo es sich über eine Infanterieeinheit legte, die gerade dabei war, die mächtigen Schrapnellkanonen auszurichten. Ihre langen Bajonette stachen durch die Plane und sorgten doch nur dafür, dass sie sich noch gründlicher verstrickten.
»Oh!«, rief Temeraire entzückt. »Oh, es funktioniert! Perscitia, sieh doch nur …« Aber er konnte sie nirgends mehr entdecken und hatte nicht die Zeit, sich lange nach ihr umzusehen. Die Chevaliers hatten abgedreht, um zurückzukommen, aber sie hielten Abstand. Der beißende Geruch von Gentius’ Säure lag noch in der Luft, wo sie jeder Drache, der die Zunge herausstreckte, riechen konnte. Auch wenn es dunkel war, glänzte doch der Schein der Feuer, die vom Lager aus aufstiegen, rot auf Temeraires Bauch, ebenso wie auf denen von Majestatis, Requiescat und Ballista, was ausreichte, um deutlich
Weitere Kostenlose Bücher