Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drachenwacht: Roman (German Edition)

Drachenwacht: Roman (German Edition)

Titel: Drachenwacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Naomi Novik
Vom Netzwerk:
Elendigen unterschieden, die von weiter unten gehört – und gerochen – werden konnten, wo sie ruhelos an den Ketten rüttelten, mit denen sie gefesselt waren, solange sie sich so nahe am Ufer befanden. Beinahe jeder fähige Seemann war von Schiffen mit ehrenvolleren Aufgaben und Kapitänen mit mehr Einfluss als Riley verpflichtet worden, dessen Ruf möglicherweise durch eine zu große Nähe zu Laurence Schaden genommen hatte, sodass er niemanden für eine solche Mission hatte gewinnen können. Das Gitter auf dem Schiffsdeck war schon eingesetzt worden, und frische Blutflecken darunter zeugten davon, dass die Decks der Sträflinge bereits genutzt wurden. Der Bootsmann und seine Helfer brachten die Männer auch unter Körpereinsatz zum Arbeiten.
    Im Hafen machte sich ein anderes Schiff bereit, die Themse zu befahren, um denselben Wind zu nutzen, der die Allegiance noch eine Weile im Hafen halten würde. Der Kontrast konnte nicht deutlicher ausfallen: eine flache Segelbarkasse, die sich klein neben dem riesigen Drachentransporter ausnahm, und sie war mit gerade mal einem Dutzend Seeleuten, ganz in Schwarz gekleidet, bemannt; selbst ihre Segel waren schwarz eingefärbt, und die Seiten waren frisch gestrichen worden und noch makellos. Ein großer Sarg, schwarz und golden verziert, wurde vorsichtig und respektvoll aufgeladen, während die Offiziere Spalier standen.
    »Das ist Nelsons Sarg«, erklärte Laurence, als sich Temeraire leise danach erkundigte. Auf dem Schiff war es still geworden, und selbst die verbittertsten der zwangsverpflichteten Männer vom Festland schwiegen, notfalls durch die Faust eines anderen Gefangenen, wenn schon nicht aus Schicklichkeit, solange der Sarg in Sicht war. Auch auf den härtesten Gesichtern glänzten Tränen, und Laurence konnte einen Mann wie ein Kind schluchzen hören.
    Nelson hatte die Engländer bei Trafalgar zu Herrschern über das Meer gemacht; aus Kopenhagen hatte er achtzehn Prisen mitgebracht und die Passagen zur Ostsee gesichert. All die Monate vor der Schlacht von Shoeburyness hatte er mit seiner Flotte den Kanal von den französischen Schiffen freigehalten und die ständigen Flüge der Franzosen abgewehrt, sodass Napoleon keine Verstärkung hatte hinzuziehen können. Die Schiffe hatten ihre Flaggen verborgen und ihre Namen überstrichen, sodass niemand merken konnte, dass er zurückgekehrt war, und aus Liebe zu ihm war nicht ein einziger seiner fünftausend Seeleute desertiert, selbst als die Schiffe in heimatlichen Häfen versteckt lagen. Seine persönlichen Sünden mochten verzeihlich sein, auch wenn Nelson selbstsüchtig seine Frau unter seiner ständigen Untreue hatte leiden lassen und seinen Freund Lord Hamilton der verblüfften Verurteilung durch den Rest der Welt ausgesetzt hatte. Wenn Lady Hamilton auch ihren Ruf später durch ihre heldinnenhafte Spionagetätigkeit während der Belagerung gerettet haben mochte, so machte das Nelsons Wahl nicht weniger zweifelhaft. Aber auch wenn nach all den Siegen und Opfern diese Angelegenheiten beinahe vergessen waren, gab es noch schlimmere Schändlichkeiten auf seinem Konto. Er hatte die Sklaverei verteidigt und ohne Skrupel den grausamen Mord an Tausenden von Drachen – von alliierten und neutralen ebenso wie von feindlichen – geplant, indem die Seuche verbreitet werden sollte. Dies waren Sünden, die Laurence nie vergeben würde und unter deren Konsequenzen er persönlich für den Rest seines Lebens würde leiden müssen.
    Und doch konnte Laurence einen Moment lang nichts als tiefste Trauer empfinden, als er zusah, wie die Barkasse vom Kai ablegte und die schwarzen Segel den Wind einfingen; eine Trauer, die jenseits von jeder Verurteilung lag, eine Trauer, wie er sie in einem anderen Leben aus ganzem Herzen empfunden hätte. Kanonen wurden abgefeuert, als das Schiff den Fluss hinunterfuhr, ein improvisierter Donner von Salutschüssen. Auf dem Deck hinter ihm setzte sich die zusammengewürfelte Mannschaft der Allegiance eilends in Bewegung,
um durch das schiere Gewicht ihrer zweiunddreißig Kanonen einen bedeutsamen Beitrag zu leisten, auch wenn es ihnen noch nicht gelang, eine ganze Breitseite zeitgleich abzufeuern.
    Rasch verschwand die Barkasse am Horizont, durch den Wind und die Gezeiten vorangetrieben. In der Ferne setzten sich die Salutschüsse fort wie ein abziehender Sturm, und schließlich verstummten sie. Die Allegiance ächzte leise, während sie an den Ankern zerrte, und das freudlose Leben an Bord nahm

Weitere Kostenlose Bücher