Drachenwacht: Roman (German Edition)
Verrat konnte nicht einfach beiseitegeschoben werden.
Wellingtons Ankunft hatte ihn insofern erstaunt, als man ihn und nicht Jane oder einen Offizier niederen Ranges geschickt hatte, um für seine Auslieferung zu sorgen, aber viel Mut machte es ihm nicht. »Sir«, sagte Laurence, »ich bin mir sicher, Sie haben so viele Verpflichtungen, dass Sie nicht gekommen sind, um sich nach dem Fortgang unserer Arbeit zu erkundigen. Wenn Sie etwas von mir wollen, so hoffe ich, dass Sie freiheraus sprechen.«
»Aber Laurence wird nicht ins Gefängnis gehen oder sich hängen lassen«, warf Temeraire ein, »und wenn Sie deshalb gekommen sind, können Sie gleich wieder verschwinden. Dann müssen Sie nämlich mit einer Armee zurückkommen, um ihn zu holen, wenn Sie das können.«
»Wir werden keine Feldschlacht gegen Sie und Ihre Bande beginnen, wenn Sie das meinen«, erklärte Wellington. »Ich weiß verdammt gut von Ihrem kleinen Pakt mit diesem Langflügler und dem Königskupfer, die überall in Dover herumspazieren und allen erzählen, dass sie an Ihrer Seite kämpfen werden, wenn jemand Ihnen zu Leibe rücken will, und verbreiten, dass jeder andere Drache das auch
tun sollte, damit nicht sein Kapitän als Nächstes weggeholt werden wird.«
Laurence warf Temeraire einen Blick zu, der immerhin den Anstand hatte, verlegen auszusehen, jedoch nur ein bisschen, und der dann entgegnete: »Sie haben kein Recht, sich zu beklagen, dass ich Ihnen nicht vertraue. Sie haben schon früher versucht, Laurence zu holen, und überhaupt: Wo ist unsere Bezahlung, die wir bekommen sollten? Und wo sind die Stützpunkte, die Sie für uns einrichten wollten?«
»Das reicht«, sagte Wellington. »Ich habe Ihnen mein Wort gegeben, und mein Wort zählt. Sie werden Ihre Stützpunkte und Ihre Bezahlung erhalten, und zwar nicht später als jeder andere Bursche, der unter Beschuss gestanden hat. Es wird ein halbes Jahr dauern, ehe die Regierung die Rückstände bezahlen kann, und Sie werden sich bis dahin gedulden müssen. Immerhin hungern Sie nicht, was mehr ist, als so mancher Engländer von sich behaupten kann.«
»Nun gut«, antwortete Temeraire ein wenig beruhigt. »Wenn Sie gedenken, Ihr Versprechen zu halten, und nicht vorhaben, Laurence ins Gefängnis zu stecken, dann tut mir leid, was ich gesagt habe. Aber was wollen Sie denn dann hier?«
»Was ich will«, sagte Wellington, »oder besser, was die Regierung Seiner Majestät will, ist, Sie loswerden. Willigen Sie ein, dass der König Gerechtigkeit walten lässt, und Ihre Strafe wird abgewandelt in Verbannung und Arbeit.«
Temeraire schnaubte bei dem Wort »Gerechtigkeit«, und er war äußerst argwöhnisch, als man ihm erklärte, dass diese Strafe bedeutete, Laurence würde in die Kolonie nach Neusüdwales geschickt werden.
»Aber das ist auf der anderen Seite der Welt. Und das ist genauso schlimm, als wenn man dich wieder ins Gefängnis steckt«, protestierte Temeraire. »Ich werde auf keinen Fall zulassen, dass man dich so weit weg von mir schickt.«
»Nein«, sagte Laurence und sah Wellington ins Gesicht. »Ich
nehme an, das ist nicht der Plan. Sir, es kann nicht weise sein, Temeraire wegzuschicken, nicht, solange die Franzosen Lien haben. Was immer Sie von mir halten: Dieser Preis ist zu hoch.«
»Sie sind heute etwas langsam von Begriff, Laurence«, sagte Wellington. »Der Preis ist, dass man Ihnen Ihr Leben lässt, und Ihre Lordschaften denken, dass sie bei diesem Preis billig davonkommen, da sie bei dieser Gelegenheit auch gleich einen Drachen loswerden, der, wenn es ihm in den Sinn kommt, die Hälfte der Schiffe von Dover versenken kann.«
Temeraire legte die Halskrause an. »Das ist sehr unhöflich«, erwiderte er. »Ich würde nie den Fischern etwas antun oder den Händlern. Warum sollte ich auch?«
Die Geschichte von Liens Niederlage hatte sich wie ein Lauffeuer im ganzen Land verbreitet. Die ruhmreichen Soldaten, die nach London und zu ihren Familien zurückmarschierten, erzählten davon, wenn sie die Neuigkeiten des Sieges und Nelsons Tod weitertrugen. Temeraires Triumph über Lien wurde nicht aufgebauscht, und weder Entsetzen noch Erstaunen hatten der Geschichte viel hinzugefügt. Aber Laurence war nun bestürzt festzustellen, dass die Angst, die Temeraires Fähigkeiten ausgelöst hatten, zu solch irrationalen Entscheidungen geführt hatte, und dies teilte er Wellington mit. »Wenn er eine gefährliche Waffe ist, dann verfügen die Franzosen über genau die gleiche. Das
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