Drachenwacht: Roman (German Edition)
wieder seinen Lauf. Laurence atmete auf. Am Ende hatte er doch nicht geweint.
Interessiert hatte Temeraire der Prozession nachgesehen; nun streckte er seine Flügel, sehr vorsichtig, um nicht den Wind einzufangen, und fragte: »Legen wir bald ab?«
»Sobald der Kapitän und die Mitreisenden an Bord sein werden«, erklärte Laurence. »In einigen Tagen vielleicht, wenn der Wind günstig steht.«
Sie hatten natürlich früher an Bord gehen müssen, da sie keine Passagiere, sondern Gefangene waren, und auch wenn Laurence diesen offiziellen Status vergessen mochte, so bestand beim Ersten Leutnant, Lord Purbeck, diesbezüglich keine Gefahr. Eine Wache – eine vollkommen überflüssige Wache aus zwei Marinesoldaten mit Musketen, die Temeraire versehentlich hätte umwerfen können, ohne es überhaupt zu bemerken – war an der Treppe zum Drachendeck postiert worden. Als Laurence nach seinen Besitztümern sehen wollte, fand er sie in einer kleinen, dunklen Kabine am Niedergang zwei Decks tiefer achtern wieder, was so nahe am Gefangenendeck lag, wie es möglich war, ohne tatsächlich dazuzugehören, außerdem war sie von Gestank erfüllt. Und selbst dorthin folgte ihm die Wache, und die Männer sahen aus, als ob sie ihn lieber im Innern der Kabine gesehen hätten, bis er sagte: »Sie können gleich hinaufgehen und Temeraire erklären, dass ich nicht zu ihm kommen darf.«
Nach und nach kamen die Flieger an Bord. Sie waren natürlich noch keine feste Mannschaft mit eigenen Drachen, und so kamen sie in
Zweier- und Dreiergruppen vom Stützpunkt in Dover, unter ihnen zwei der Kapitäne, die Jane geschickt hatte. Bei beiden handelte es sich um ältere Männer, die durch den Tod ihrer früheren Drachen ganz am Anfang der schrecklichen Epidemie nun wieder an den Boden gefesselt waren. Es handelte sich bei ihnen um erfahrene Männer, vor denen noch eine lange Karriere gelegen hätte. Einen anderen Mann würden sie in Gibraltar an Bord nehmen; drei Eier sollten mit auf die Reise gehen.
Diese wurden sehr vorsichtig und mit großer Aufmerksamkeit von einer Gruppe von drei Drachen gebracht. Die Eier waren in Baumwolle eingewickelt und wurden in ein Nest hinuntergelassen, das man über der Kombüse eingerichtet hatte, doch wohl niemand hätte sie ernsthaft als Prise bezeichnet. Die Eier stammten von einem Gelben Schnitter und einer unglücklichen Kreuzung zwischen einem Bunten Greifer und einem Parnassianer, wobei ein geradezu schockierend kleines Ei herausgekommen war, das eher vermuten ließ, hier würde ein Winchester schlüpfen anstatt ein Schwergewicht. Das dritte Ei wurde von Arkady selbst an Bord getragen, denn es war sein eigenes; jedenfalls teilte er ihnen das stolz mit, ebenso wie die Tatsache, dass es ganz frisch von Wringe stammte. Ihm tat es keineswegs leid, sich nun von dem Ei trennen zu müssen, denn er war überzeugt, dass es eine besondere Ehre war, in ein so großes und unabgestecktes Territorium gesandt zu werden. Allerdings blieb er lange Zeit, um Temeraire feierlich bezüglich seiner Pflicht zu belehren, auf das Ei aufzupassen und es zu umsorgen, und er rang Temeraire das Versprechen ab, dass niemand das Ei anfassen dürfe und nur jemand sehr Reiches die Erlaubnis bekommen würde, sein Kapitän zu werden.
»Ich bin froh, dich noch einmal zu sehen, ehe wir aufbrechen«, sagte Laurence unsicher zu Tharkay. Sie hatten seit jenem Tag im Lager, an dem Tharkay Laurence so mühelos bis auf die Knochen beschämt hatte, nicht mehr miteinander gesprochen. Laurence wusste kaum, ob er sich entschuldigen oder bedanken sollte.
»Du musst dich noch nicht verabschieden, jedenfalls noch nicht«, sagte Tharkay. »Kapitän Riley war so freundlich, mich als Gast einzuladen.«
»Ich wusste gar nicht, dass du ihn kennst«, sagte Laurence, doch noch deutlicher wollte er nicht werden, obwohl er liebend gerne weitergefragt hätte.
»Ich kannte ihn nicht«, sagte Tharkay, »aber Kapitän Harcourt war so freundlich, uns einander vorzustellen. Im Augenblick bin ich ganz gut bei Kasse, dank der Großzügigkeit der Admiralität«, fügte er hinzu, als er sah, dass Laurence erstaunt war. »Und ich war noch nie in Terra Australis; die Reise erschien mir verlockend.«
Wanderlust mochte einen Mann über den Ozean treiben oder ans andere Ende der Welt verschlagen, aber sie würde ihn nicht an Bord eines Schiffes führen, auf dem jemand segelte, den er verabscheute, wenn seine Mittel ausreichend waren, sich die Überfahrt nach
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