Drachenwege
dem anderen an, doch Nuella gab nicht nach. Zu seiner Überraschung wurde sie in ihrer ablehnenden Haltung von Kisk unterstützt; Kindan hatte erwartet, der Wachwher würde sich ohne Murren fügen.
»Also gut, ihr beiden Mädels habt gewonnen. Zwei gegen einen, das ist ungerecht«, warf er das Handtuch, und für seinen Kommentar erntete er von Nuella einen halbherzigen Hieb mit der Faust. »Es geht nicht darum, gegen dich Partei zu ergreifen, sondern Kisk und ich handeln bloß verantwortungsvoll«, fauchte sie. Mit einem Seufzer fügte sie hinzu: »Wenn du so erpicht darauf bist, diesen Test durchzuführen, dann mach doch einen Versuch im Schuppen. Falls alles klappt, kannst du mit Kisk später immer noch unter Tage experimentieren.«
Zögernd pflichtete Kindan ihr bei.
* * *
Nachdem Kindan und Kisk Nuella zu ihrem Zimmer in der zweiten Etage begleitet hatten, gingen sie in den Schuppen zurück. Kisk war immer noch zum Spielen aufgelegt. Kindan fühlte sich erschöpft, doch ihm war klar, dass er das nachtaktive Tier beschäftigten musste.
Also entschloss er sich, mit Kisk eine abgewandelte Form von Verstecken zu spielen. Er verbarg sich unter dem Stroh, lag ganz still da, wobei er um ein Haar eindöste, und Kisk stöberte nach ihm.
Natürlich fand sie den Jungen immer sehr schnell.
Kindan überzeugte sich davon, dass sie ihm den Rücken zukehrte, während er sich ein Versteck suchte, und er schärfte ihr ein, dass sie versuchen sollte, nicht auf Geräusche zu achten. Obschon er sich keinen falschen Hoffnungen hingab - natürlich würde der Wachwher die Ohren spitzen. Im Verlauf des Spiels griff Kindan dann zu einer List, um den Wher abzulenken. Er warf kleine Steinchen in unterschiedliche Richtungen, um Kisks Gehör zu täuschen.
Der Haken an der Geschichte bestand darin, dass er Kisk zurufen musste, wann sie anfangen durfte, nach ihm zu suchen; selbst wenn er völlig mit Stroh bedeckt war, verriet seine Stimme ja ungefähr sein Versteck.
Nach einigen Experimenten kam er auf eine Idee. Den letzten Stein würde er gegen den Vorhang werfen, der die Tür bedeckte. Wenn Kisk den dumpfen Aufprall hörte, war das für sie das Signal, mit der Suche zu beginnen.
Von da an wurde das Spiel interessant, und Kisk brauchte länger, um den Jungen zu finden.
Dann fiel dem Jungen eine weitere Variante ein: Nachdem er den letzten Stein gegen den Vorhang geworfen hatte, kniff er die Augen fest zusammen und atmete nur noch ganz flach. Er leerte seinen Kopf von allen Gedanken und konzentrierte sich darauf, sich im Geist einen völlig lichtlosen, schwarzen Ort vorzustellen.
Wie er so dalag, übermüdet und abgekämpft, nickte er ein.
Doch kurz vor dem Einschlafen war ihm, als sähe er etwas - eine zusammengerollte Gestalt, die eine Position einnahm wie er, von der ein sanftes Glühen ausging.
Wie ein Blitz durchzuckte ihn die Erkenntnis, dass er sich selbst unter dem Stroh liegen sah.
Er hörte das leise Tappen von Kisks Tatzen, als sie sich ihm näherte. Ein Bild schlich sich in seine Gedanken, und er gewahrte den Wachwher, wie er langsam zu ihm aufrückte. Der Kopf nahm Konturen an - aber es war nicht Kisks Antlitz, das er sah, sondern ein an den Rändern verschwommenes Oval, welches in allen Regenbogenfarben schillerte. Das Oval verdunkelte sich, als grelle, orangegelbe Flammenbündel hervor-schossen und das mattere Licht des Kopfes über-trumpften. Durch das Stroh fühlte er, wie Kisks warmer Atem über seine Wangen strich, und in seinem Kopf entstand die Vorstellung von einem wohligen Feuer.
Kisk zwitscherte und trällerte vor Glück.
Lachend öffnete Kindan die Augen, schnellte aus seinem Versteck im Stroh hervor und schlang die Arme um ihren Hals. »Du hast mich gefunden!«, sagte er freudig. Fest drückte er das Tier an sich. »Du bist ein großartiges Mädchen!«
* * *
»Beschreib mir das Ganze noch mal«, forderte Nuella ihn am nächsten Abend auf. »Schildere genau, was du sahst.«
»Es lässt sich nur schwer beschreiben«, erwiderte Kindan. »Alles hatte die Farben eines Feuers angenommen, gelb und orange wie Flammen.«
»Was hat das zu bedeuten?«
Kindan schürzte die Lippen und dachte angestrengt nach. »Hast du jemals in ein grelles, gleißendes Licht geschaut... als du noch klein warst, meine ich.«
»Gib mir ein Beispiel«, bat Nuella und zog eine Grimasse.
»Na ja, im Sommer, zur Mittagsstunde, scheint die Sonne mit einem sehr hellen Licht, dass einem die Augen schmerzen, wenn man zu lange
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