Drachenwege
Augenwülste kraulen? Die Drachen lieben es, wenn man sie dort krault.« Mit all ihren Sinnen konzentrierte sie sich auf den Wher, bis sie sein Einverständnis spürte. »Also gut, ich fange jetzt an.«
Sie begann damit, dass sie mit den Fingern den linken Augenwulst massiert. Nach einer Weile senkte Resk den Kopf, damit sie besser jede Stelle erreichte. Nuella fuhr fort, ihre Zärtlichkeiten auszuteilen.
»Gutes Tier«, flüsterte sie mit gurrender Stimme.
Resk wandte ihr die Schnauze zu und stubste sie mit der Nase an. Nuella lachte leise. Resk tschilpte fröhlich und drückte den Kopf gegen ihre Hand. Als Nächstes merkte Nuella, wie eine lange, klebrige Zunge über ihr Kinn fuhr, und dann rollte eine volltönende Melodie aus Resks Kehle.
»Ich fass es nicht!«, staunte Renilan.
»Sie leckt nur meine Haut ab, weil sie salzig schmeckt«, erklärte Nuella.
»Ha!«, schnaubte Renilan. »Wenn das der einzige Grund wäre, würde Resk mich von oben bis unten ab-schlecken, denn meine Haut ist bestimmt viel salziger als deine.«
Nuella kicherte. »Vielleicht solltest du dich öfter waschen.«
Die beiden Kinder des Burgherrn schnappten ange-sichts der frechen Bemerkung hörbar nach Luft, doch Renilan fing schallend an zu lachen. »Jetzt hast du mich erwischt!«, keuchte er. »Danke für den guten Rat, Mädel.«
Nuella hörte, wie er zu ihr kam, und dann legte er seine schwielige Pranke auf ihre Schulter. »Du bist schon in Ordnung, Mädchen«, meinte er anerkennend.
»Danke, Sir«, erwiderte sie und tätschelte Resks Stirn. »Hoffentlich denkst du immer noch so, wenn ich mit meiner Arbeit fertig bin.«
»Nun ja ... auf jeden Fall werde ich mir anhören, was du zu sagen hast«, erwiderte er.
Nuella schüttelte den Kopf. »Mit Anhören allein ist es nicht getan. Du musst bereit sein, zu lernen.«
Hinter sich vernahm sie das mühsam unterdrückte Stöhnen der Kinder. Sie wandte sich in die Richtung und lächelte. »Lord Darel, Lady Erla - M'tal hat mir er-
zählt, dass ihr Lemosk, den Wachwher der Burg, trainiert. Ist das richtig?«
»Ja, das stimmt«, antwortete Erla nach einer kleinen Pause, während der sie sich im Flüsterton mit ihrem älteren Bruder beraten hatte.
»Ohne Lemosk könnt ihr heute nicht viel lernen«, fuhr Nuella fort. »Außerdem ist es sehr spät geworden.
Soll ich euch an einem anderen Tag unterrichten?«
»Ich bin nicht müde«, behauptete Lord Darel und gähnte, dass die Kiefer knackten.
»Trotzdem finde ich, dass ich zuerst mit Renilan und Resk arbeiten sollte, damit die beiden nach Hause zurückkehren können«, wandte Nuella ein.
»Also gut. Na schön«, erwiderten die beiden Kinder.
Nuella schmunzelte. »Das wäre also geklärt. Wenn ihr mögt, dürft ihr zuschauen. Obwohl es nicht viel zu sehen gibt. Als Erstes muss ich euch nämlich bitten, die Augen zu schließen. Ihr zwei und Renilan macht jetzt die Augen zu und dreht das Gesicht in Richtung des Kamins. Einverstanden?«
Renilan stieß ein ärgerliches Zischen aus, und Nuella schürzte fragend die Lippen. Der alte Mann seufzte und tat, was sie von ihm verlangte. »Meine Augen sind zu.
Und was soll das Ganze?«, murrte er.
»Was seht ihr?«, fragte Nuella. »Nein, nicht die Augen aufmachen. Was seht ihr mit geschlossenen Augen?«
»Ich sehe gar nichts«, quengelte Erla.
»Wirklich nicht? Du darfst die Lider nicht so fest zu-sammenkneifen, junge Dame. Halte die Augen nur geschlossen, als ob du schlafen würdest.«
»Wenn ich das Gesicht zum Feuer drehe, nehme ich Helligkeit wahr«, berichtete Darel.
»Erkennst du Farben?«, fragte Nuella. »Ist alles nur grau, oder kannst du eine Farbe ausmachen?«
»Es ist irgendwie orangerot«, erklärte Erla. »Und ich spüre die Hitze auf meinem Gesicht.«
»Sehr gut«, lobte Nuella. »Renilan, was empfindest du?«
»Nun ja«, antwortete der alte Mann gedehnt, »ich stehe etwas weiter weg vom Kamin als die Kinder, aber an der Stelle, wo das Feuer brennt, sehe ich einen helle-ren Fleck, und natürlich fühle ich die Wärme.«
»Schön. Behalte dieses Bild im Kopf. Meine Freunde sagen mir, es sei verschwommener, wie wenn man mit offenen Augen in ein Feuer schaut. Ist das so?«
»Eigentlich ist es ganz anders, man kann es nicht miteinander vergleichen«, erwiderte Renilan. »Mir scheint, in der Mitte sind die Farben am heißesten und kühlen zum Rand hin aus.«
»Das entspricht dem Bild, welches dein Wachwher sieht«, sagte Nuella. »Versuch, dich auf dieses Bild zu
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