Drachenwege
Bergbau. Einige überlegten, ob die Händler wohl bestimmte Waren, die sie benötigten, mitgebracht hätten, zum Beispiel Klei-derstoffe für die Frauen oder Spitzhacken, von denen man nie genug haben konnte.
»Was glaubst du, wann sie im Camp eintreffen werden?«, fragte Natalon.
Nachdenklich schürzte Kindan die Lippen. »Ungefähr um die Stunde, wenn diese Schicht endet.« Die Kumpel, die gespannt auf die Antwort gewartet hatten, brauchen in laute Jubelrufe aus. Doch Kindan sah, dass Natalon sich etwas mehr Zeit gewünscht hätte. Der Steiger zog die Stirn kraus, schien sich mit der Auskunft indessen abzufinden.
»Meister Zist kümmert sich um die Vorbereitungen«, versicherte Kindan. »Und er möchte wissen, ob er den großen Saal der Festung für das abendliche Beisam-mensein herrichten darf.«
Natalon nickte zustimmend. »Selbstverständlich. Und falls neue Lehrlinge für die Grube ankommen, muss
man sie in Quartieren unterbringen und sie für die Schichten einteilen.« Er seufzte, denn normalerweise war er für die Organisation solcher Dinge zuständig.
»Meister Zist lässt fragen, ob er und Swanee dies in die Wege leiten dürfen«, sagte Kindan, indem er unbekümmert drauflos improvisierte und dem Harfner und dem Magazinverwalter einfach Worte in den Mund legte. Aber Kindan konnte sich vorstellen, wie
abgekämpft Natalon sein musste. Er setzte ein strahlendes Lächeln auf. »Wenn ich mich recht erinnere, sagte Meister Zist, er freue sich bereits auf diese Arbeit.
Er fasst es wohl als eine interessante Herausforderung auf.«
Natalon wedelte mit der Hand. »Dann überlasse ich
nur zu gern alles ihm.« Er wandte sich an die anderen Kumpel. »Geht wieder an eure Arbeit. Die Pause ist zu Ende.«
In einer väterlichen Geste legte er die Hand auf Kindans Schulter. »Ich begleite dich zum Förderkorb«, er-klärte er. Sowie sie sich außer Hörweite befanden, fragte er: »Sag mal, Kindan, konntest du erkennen, wie viele Wagen für Kohle die Handelskarawane mit sich führt?«
Kindan zog die Stirn kraus und versuchte sich zu erinnern. In dem frühmorgendlichen Nebel hatte er nur die Spitze der Karawane ausgemacht. »Es war noch zu diesig, um ein klares Bild zu sehen«, bekannt er. »Mir scheint aber, es waren vier Kohlenwagen.«
Natalon schaute verwirrt drein. »Wir haben genug
Kohle gefördert und in Säcke gefüllt, um fünf oder sogar sechs Wagen zu beladen. Wenn die Karawane nur vier Wagen dabei hat, dauert es Monate, bis wir unsere sämtlichen Kohlenvorräte verkauft haben. Sind es hingegen sechs Wagen ...«
Seit Kindan bei Meister Zist lebte, hatte er eine
Menge gelernt. Das Camp vermochte sich selbst zu
versorgen, wenn es um Bauholz, Kohlen, Fleisch, Ge-müse und Kräuter ging; doch Mehl, Textilien, Geräte wie Spitzhacken und Schaufeln, sowie Gewürze und
bescheidene Luxusgüter, mussten von außerhalb gebracht werden. Diese Artikel kaufte man den Händlern ab, und die Währung, in der bezahlt wurde, war die geförderte Kohle, trocken, in Säcke gefüllt und bereit, weiter veräußert zu werden. Lose Kohle oder solche, die feucht war, brachte einen weitaus geringeren Gewinn.
Führte die Karawane lediglich vier Kohlenwagen mit sich, bedeutete dies, dass das Camp weit weniger Waren einkaufen konnte. Hatte man aber sechs Transportkarren dabei, und die zum Verkauf bestimmte Kohle reichte nur für etwas mehr als fünf Wagenladungen, gab es ein noch größeres Problem. Kein Händler machte einen Profit, indem er halb gefüllte Karren oder gar leere Wagen durch die Gegend ziehen ließ. In diesem Fall war es gut möglich, dass die Leitung der Karawane
beschloss, zu einem anderen Camp weiterzuziehen, in der Hoffnung, dort sämtliche Kapazitäten auslasten zu können. Gewiss, irgendeine Handelskarawane, die
später vorbeikäme, würde Camp Natalon die Kohle
abkaufen, doch bis dahin konnte gut und gern ein voller Monat vergehen.
Kindan wusste, was die Bergleute empfinden würden, wenn diese Karawane darauf verzichtete, die Kohle
mitzunehmen, auch wenn die Vorräte im Camp aus—
reichten, bis die nächste Händlergruppe auftauchte. Und die Reaktion der neuen Lehrlinge, die im Camp Natalon arbeiten sollten, wagte er sich nicht einmal auszumalen.
Was mochten diese jungen Burschen denken, wenn sie in ein Camp gelangten, das sich nicht einmal in der Lage sah, die von der Karawane mitgebrachten Artikel zu kaufen?
Außer der in Säcken abgefüllten Kohle, die in einer trockenen Höhle lagerte, gab es
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