Drachenzauber
fertig werden.« Aber die Leidenschaft war aus seiner Stimme verschwunden. Er kannte die alten Lieder und Geschichten von Hurog besser als ich. Er kannte die Pflichten des Hurogmeten. Oregs Erfahrung aus erster Hand mochte dem vollkommen widersprechen, aber sie hatte dem Ideal nichts von seiner Macht genommen.
»Ich muss ein besseres Gefühl dafür entwickeln, was am Hof vor sich geht«, erklärte ich. »Dass Jakoven Tisala entführt hat, ist nur der Anfang. Etwas Hässliches steht bevor, und ich fürchte, Hurog wird in der Mitte von Jakovens Aktivitäten stehen.«
»Wen nimmst du mit?«, fragte Tante Stala, und die Sache war beschlossen.
Wir planten meine Reise, ein wenig beruhigt von der Mahlzeit, und Tosten aß vielleicht nicht viel, erhob aber auch keinen Einspruch mehr. Wir waren gerade aufgestanden, um das Küchenpersonal die Teller abräumen zu lassen, als wir eilige Hufschläge hörten.
Der Bewaffnete, der in den Raum gestürzt kam, war bleich. »Herr«, sagte er. »Königliche Truppen kommen.«
Mein Mund wurde trocken. Waren sie hinter Tisala her? Meine Gedanken überschlugen sich. Aber ich war nach Tisalas Geschichte zu dem Schluss gekommen, dass Jakoven sie hierher nicht verfolgen würde - es würden zu viele Leute zum Schweigen gebracht werden müssen, mit nur wenig Gewinn. Der König wollte sicher nicht, dass jemand von Tisalas Folter erfuhr. Damit blieb nur eine Antwort auf die Frage, was königliche Soldaten hier wollten: das Dekret.
Sollte ich fliehen? Oreg würde mich wegbringen -
aber dadurch würden Hurog und jene, die hierher gehörten, verwundbar werden - und Jakoven könnte meine Familie des Verrats bezichtigen. Mein Onkel würde schließlich nicht beweisen können, dass er mir nicht geholfen hatte. Ebenso wenig wie Beckram, wenn der König durch mich zu ihm gelangen wollte.
Wir könnten kämpfen. Es würde der Beginn eines Bürgerkriegs sein. Shavig würde sich uns anschlie-
ßen. Oranstein würde vielleicht das Gleiche tun -
aber sie mussten sich auch wieder Gedanken über ein Eindringen der Vorsag machen, wie vor vier Jahren.
Es sei denn …
Ich schüttelte den Kopf und tat den Gedanken an Bürgerkrieg ab. Es wäre vielleicht möglich gewesen, wenn der König uns im kommenden Jahr angegriffen hätte statt in diesem. Heute würde Hurog innerhalb eines Tages fallen, und bei diesem Ergebnis würde Shavig stöhnen und ächzen, sich aber schließlich Jakoven ergeben.
Wir konnten uns mehr oder minder gegen Banditen schützen, doch das Heer des Königs war eine andere Sache. Wenn wir ein echtes Torhaus und ein Fallgitter an der Mauer hätten, hätten wir uns vielleicht lange genug widersetzen können. Stattdessen hatten wir nichts als eine Mauer mit einem festen Holztor, das wir gegen Eindringlinge verriegeln konnten, und der Bergfried besaß überhaupt noch kein Tor.
»Du brauchst nicht zu ihm zu gehen - er kommt dich holen«, bestätigte Stala meine Gedanken.
Die Angst ließ mir das Herz bis zum Hals schlagen. Ich hatte nicht viel Zeit. »Tisala - geh in mein Zimmer und bleibe dort. Wir werden alle sterben, wenn die Männer des Königs dich hier finden. Ich werde dafür sorgen, dass sie den Bergfried nicht durchsuchen, aber ich bin nicht sicher, ob ich sie vollkommen davon abhalten kann, ihn zu betreten.«
Diese wunderbare Frau drehte sich einfach auf dem Absatz um und eilte ohne Widerspruch die Treppe hinauf. Ich wartete, bis sie außer Hörweite war, und wandte mich dann an die anderen.
»Stala, halte die Wache davon ab zu kämpfen, verstanden? Ihr müsst hierbleiben, um Hurog zu schützen. Sorge so lange du kannst für Tisalas Sicherheit.
Wenn die Soldaten sie nicht erwähnen, tun wir das auch nicht. Ich glaube nicht, dass der König in dieser Sache etwas erzwingen wird - er würde zu viel erklären müssen.«
Stala nickte grimmig.
»Tosten, du lässt dich ebenfalls nicht sehen. Sobald wir weg sind, reitest du zu Onkel Duraugh. Sorge dafür, dass er erfährt, dass Beckram Ärger hat. Ich hätte eigentlich erwartet, früher von ihm zu hören -
vielleicht ist unsere Botschaft nicht durchgekom-men.«
»Wirst du mit ihnen gehen?«
»Ja, ich kann nicht anders. Mach dir keine Sorgen, ich komme schon wieder aus dieser Sache heraus.
Oreg, kannst du nach Estian kommen und mich im Verborgenen aufsuchen? «
Oreg war der Einzige von uns, der nicht beunruhigt aussah. »Selbstverständlich.«
Das Geräusch von Hufen auf Fliesen ließen uns alle zusammenzucken, aber es war nur das
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