Drachenzauber
Verbindung zu Hurog gab mir immer noch das Gefühl, als fehle ein wichtiger Teil meiner selbst, aber es war inzwischen erträglich, eine verheilte Narbe, als hätte ich vor längerer Zeit einen Arm oder ein Bein verloren.
»Ward?«, sagte Oreg schüchtern und ritt neben mich.
»Ja?«
»Wo willst du heute Abend unser Lager aufschlagen? Wir werden Estian erst spät am Nachmittag erreichen.«
»Der Weg, auf dem wir uns befinden, stößt in ein paar Meilen auf die Hauptstraße. Mein Vater ritt gern am frühen Morgen nach Estian hinein. Ich dachte, wir schlagen unser Lager auf, wo wir es immer getan haben, und reiten morgen an der Stadt vorbei.«
»Wäre es möglich, stattdessen in Menogue zu lagern?«
»Im Interesse der Gelehrsamkeit?«, fragte Bastilla, die neben mir ritt.
Oreg lächelte erfreut und nickte.
Bastilla hatte sich viel besser in meine Gruppe eingewöhnt, als ich es von einer schönen Frau erwartet hätte. Ich nahm an, dass sie sowohl mit Axiel als auch mit Penrod schlief, aber es kam deshalb nicht zu Problemen.
»Menogue liegt im Nordosten von Estian. Das ist ein Umweg von mindestens fünf oder sechs Meilen in einer Richtung«, sagte ich. »Also insgesamt über zehn.«
»Ich weiß«, erwiderte er. »Ich würde dennoch gern über Nacht dort bleiben. Du hast Tosten gesagt, dass unser Tempo nicht wichtig ist.«
»Es spukt in den Ruinen.« Der Weg war breit genug, dass auch Tosten neben uns reiten konnte.
»Axiel kennt alle Geschichten darüber. Er ist voraus-geritten, um den Weg auszuspähen, aber ich wette, er wird uns heute Abend alles darüber erzählen.«
Sein Tonfall war freundlich. Etwas an dem Übungskampf dieses Morgens hatte seine Laune gebessert.
»Es spukt?« Ich legte ein leichtes Zittern in meine Stimme, und es gelang mir, Oreg nicht anzusehen.
»Das hatte ich ganz vergessen. Vielleicht sollten wir dort lieber doch nicht übernachten.«
Tosten schnaubte. »Das Theater kannst du dir sparen, Ward.« Er grinste Bastilla an. Ich konnte sehen, dass sie auch bei ihm ihren Zauber gewirkt hatte.
»Wir haben selbst in Hurog ein Gespenst. Ich habe es nie gesehen, aber Ihr hättet meine Tante hören sollen
- Lady Duraugh, nicht Stala -, als es sie besuchte.«
Bastilla hatte Stala nie kennengelernt, aber sie kannte unsere Geschichten.
»Bei Tageslicht ist es nicht schwer, sich über Gespenster lustig zu machen«, sagte ich. »Wenn die Ruinen im Dunkeln lebendig werden, wird es dir schon schwerer fallen.«
Penrod war näher gekommen, um zu hören, wor-
über wir sprachen. »Ruinen?«
»Oreg möchte in den Ruinen von Menogue übernachten, wo es spukt«, erklärte Bastilla.
Der alte Stallmeister grinste. »Die Nacht in spuki-gen Gemäuern verbringen? Klingt ganz wie zu Hause.«
Es war Axiel, der den Weg fand, den wir nehmen mussten. Ich wäre daran vorbeigeritten. Es gab Anzeichen dafür, dass er einmal eine breite Straße gewesen war, aber ich bezweifelte, dass man in weiteren hundert Jahren auch nur noch eine Spur davon erkennen könnte. Gerüchte über Geister und Flüche hielten die Neugierigen fern. Und das, obwohl die Bewohner von Tallven behaupteten, wir Nordländer seien abergläubisch.
Um ehrlich zu sein, wenn ich nicht gewusst hätte, was Oreg war, hätte ich dem Vorschlag ebenfalls nicht zugestimmt. Wie mein Onkel gesagt hatte, wusste niemand so gut wie ein Nordländer, wie lästig echte Magie sein konnte. Weder Axiel noch Bastilla waren sonderlich begeistert. Aber Tosten überschlug sich praktisch vor Aufregung, und das gab mir den letzten Anstoß. So vergnügt hatte ich ihn noch nie erlebt.
Unser Weg wand sich zwischen Bäumen hindurch, die während Menogues Herrschaft nicht existiert hatten, uns aber nun überragten und Schatten spendeten.
Brombeerbüsche verbargen die Überreste von Steinbänken und Statuen.
Die Pferde waren nach einem langen Tag müde, und sie schnaubten und schwitzten, als sie uns den steilen Hügel hinauftragen mussten. Penrod zog die Füße aus den Steigbügeln und ließ sich vom Pferd gleiten. Axiel, der vor ihm ritt, tat es ihm nach. Ich musste über mich selbst lächeln, als ich aus dem Sattel rutschte, denn ich freute mich nicht darauf, den Hügel hinaufzusteigen, aber wenn Penrod es tat, der ebenso frisch aussah wie an diesem Morgen, obwohl er doppelt so alt war wie ich, dann würde ich es halt auch tun.
Sobald meine Füße den Boden berührten, hörte ich auf zu grinsen, und die Haare auf meinen Armen sträubten sich. Ich hatte am ganzen
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