Dracula II
konnte Marek, wenn er sich noch einmal streckte, die Figur von der Unterlage abheben.
Das tat er auch.
Zwischen seinen Händen spürte er Leben. Ja, die Figurlebte, war von innen her warm, doch Marek sah es als eine gefährliche Wärme an. Er brachte sie dicht vor seine Augen, um sie sich genauer anschauen zu können.
Die fein geschnitzten Gesichtszüge zeigten nicht mehr die ursprüngliche Weichheit oder Vergebung. Nein, jetzt schaute aus ihnen eine gewisse Schärfe hervor. Auch die Augen besaßen einen ungewöhnlichen Glanz. Sie hatten die auf dem Foto erkennbare Weichheit verloren, jetzt schauten sie nur noch verändert, hart und grausam. Überall hatte Dracula II seine Spuren hinterlassen. Marek spürte den Haß, der wie eine Lohe in ihm hochstieg. Er haßte diesen Supervampir bis aufs Blut. Er würde ihn bekämpfen, er mußte ihn bekämpfen, gleichzeitig jedoch merkte er auch die Warnung in seinem Innern, die ihm riet, vorsichtig zu sein.
Er bewegte sich hier auf einem feindlichen Gelände. Das alte Kloster und die Kirche standen unter der Kontrolle des Blutsaugers. Er besaß hier einen Herrschaftsbereich, er hatte alles an sich gerissen und würde es freiwillig nicht hergeben.
Er ließ die Figur fallen. Einfach so. Marek wollte sie nicht mehr halten, er haßte sie plötzlich. Vor seinen Füßen schlug sie mit einem dumpfen Laut auf.
Plötzlich überkam ihn der Wunsch, diese verdammte Figur zu zerstören. Einfach zu zertreten, zu zerschlagen, zu…
Er hatte schon einen Fuß angehoben, als es geschah. Nicht die Figur regte sich, ein anderer Vorgang erwischte ihn wie der Blitz aus heiterem Himmel. Plötzlich läuteten Glocken!
***
Frantisek Marek blieb stehen, ohne sich zu rühren. Er konnte nicht anders, er mußte dem Klang der Glocken nachlauschen, der schwer und hallend durch das Kirchenschiff schwang.
Für viele Menschen bedeutete der Klang der Glocken Hoffnung oder Botschaft.
Letzteres stimmte für Marek. Er sah im Klang der Glocken eine Botschaft, nur konnte er sie nicht unterstreichen. Wenn es überhaupt eine Botschaft gab, dann die der Hölle, denn der Klang dieser Glocken hatte sich angepaßt.
Nicht hell und freundlich schwang er über das weite Land, sondern dumpf, unheimlich, grollend. Auch hier mußten die Kräfte des Bösen ihre magische Macht mit eingebracht haben.
Frantisek Marek hatte seinen eigentlichen Vorsatz vergessen. Das Läuten der Glocken hatte ihn zu sehr in ihren Bann gezogen. Er drehte sich auf der Stelle und schaute wieder in das Kirchenschiff hinein, wobei er zu einer Empore am anderen Ende hinblickte, denn dort befand sich die kleine Orgel.
Bewegte sich nicht da ein Schatten? Lauerte dort jemand, der ihn schon länger unter Kontrolle gehalten hatte?
Marek merkte den Druck an seinem Herzen. Da waren plötzlich dünne Finger, die es umklammerten. Ein leichtes Schwindelgefühl hatte ihn auch befallen. Alles, was er hier erlebte, war so unnatürlich. Er kam einfach nicht damit zurecht.
Auf leisen Sohlen ging er den Weg zurück. Er glaubte einfach nicht daran, daß die Glocken von sich aus geläutet hatten. Da mußte jemand mitgeholfen haben.
Mallmanns Helfer? War diese Kirche oder das Kloster von Blutsaugern besetzt, die er bisher noch nicht zu Gesicht bekommen hatte?
Bis zur Eingangstür begleitete ihn nur der dumpfe, unheimliche Glockenklang. Etwas irritiert blickte er sich um. Die Glocken hingen in einem Turm, und es mußte einfach einen Weg geben, der ihn in den Turm hineinbrachte.
Frantisek Marek suchte weiter. Erschlich an den alten Tauf-und Weihwasserbecken vorbei. Die großen Schalen waren leer. Nur mehr auf dem Boden schimmerten einige weiße Kristalle. Nicht einmal ein feuchter Fleck war zu sehen.
Die schmale Tür befand sich an der linken Seite, direkt neben einem alten hölzernen Beichtstuhl, dessen schmale Eingangstür zugeklappt war. Der Beichtstuhl interessierte den Pfähler nicht. Er wollte den Weg in den Glockenturm finden.
Die Tür neben dem Beichtstuhl war nicht verschlossen. Wesentlich leichter als das Eingangsportal schwang sie dem Pfähler entgegen. Marek zuckte zurück, denn der Klang war übermächtig geworden. Kein Licht brannte in dem Glockenturm, dafür drang ihm der Geruch von altem Staub entgegen.
Noch stand er auf der Schwelle. Seine Augen sollten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen.
Mit der Zeit nahm er Umrisse wahr. Innerhalb der grauen Finsternis zeichneten sich tanzende Gegenstände ab. Sie hüpften nach oben, dann wieder herab,
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