Dracula II
und das Spiel begann von neuem.
Eigentlich nicht ungewöhnlich, denn in den alten Kirchen und Kapellen brauchte man Menschen, die an den Glockensträngen ziehen konnten. Die Glocken selbst befanden sich hoch im Turm.
Er ging noch nicht weiter und holte erst seine Lampe hervor. Ein erster sichernder Blick war immer besser, als ins eigene Unheil zu rennen. Der Strahl schnitt hinein in die Wolken aus Staub. Der mächtige, unheimliche Klang ließ den Kopf des Pfählers beinahe zerspringen. Die Enden der Glockenstricke schwangen auf und nieder. Sie waren beschwert worden, jemand zog an ihnen und zog trotzdem nicht daran, denn man hatte sie zu Henkersschiingen geformt. Aus ihnen schauten bleich und verzerrt die Gesichter von drei Mönchen hervor…
***
Marek empfand das Grauen wie einen körperlichen Schlag. Mit dieser furchtbaren Szene hatte er nicht gerechnet. Das war so schlimm und schrecklich, daß er sich fast weigerte, dies zu begreifen. Wie makabre Stehaufmännchen tanzten die Körper auf und nieder. Die Mönche trugen noch ihre Kutten. Schwarzbraune Gewänder mit blassen Kordeln in der Mitte.
Ihre Gesichter sahen aus wie ein zerfurchtes Gelände. Falten, kleine Krater, aufgesprungene, bleiche Lippen und Augen, die verdreht standen.
Die Leichen schafften es tatsächlich, durch ihr Gewicht und ihre Pendelbewegungen, das Läuten der mächtigen Kirchenglocken fortzuführen. Eine Botschaft ließen sie über Berge und durch Täler wehen, doch die war anders als sonst.
Marek verstand sie genau. Er hörte den schlimmen Unterton hervor. Die Glocken, von Toten in Bewegung gehalten, berichteten vom Grauen, von der Angst und von der Macht der Blutsauger. Damit feierte Dracula II seinen ersten Triumph.
Jemand mußte die Schlingen geknüpft und die Toten hineingehängt haben. Für Marek kam nur Mallmann in Frage. Damit war ihm auch klargeworden, daß sich der Vampir in der Umgebung aufhalten mußte. Marek sah sich als Vampirjäger an, er suchte sie förmlich, um sie vernichten zu können. Mallmann jedoch war eine Spur zu groß für ihn, das sah er auch ein. Vielleicht hätte er auf Sinclair warten sollen, das wiederum konnte er auch nicht. Wenn er eine Spur aufgenommen hatte, mußte er ihr nachgehen.
Die drei Toten führten in den Schlingen hängend noch immer ihren makabren Reigen auf. Wie Bälle tanzten die Gesichter vor den Augen des Vampirjägers. Mal glitten sie aus dem Strahl heraus, dann tauchten sie wieder ein.
Marek irritierte der Glockenklang. Er wollte ihn abstellen, und er wollte die Toten nicht in den Schlingen hängen lassen. Die Lampe steckte er weg, da er beide Hände benötigte und die Umgebung jetzt besser kannte. Beim ersten packte er zu. Tief gruben sich die Finger in die Kuttenkleidung des Toten. Er mußte sich selbst mit seinem Gewicht an den Körper hängen, um diesen in eine Ruheposition zu bekommen. Marek keuchte, aber der Schmied hatte sein ganzes Leben körperlich gearbeitet und dementsprechend Kraft.
Es gelang ihm, den ersten Toten festzuhalten, daß er nicht mehr pendelte.
Eine Glocke klang aus, für Marek kaum zu hören, denn er kümmerte sich bereits um den zweiten.
Auch hier benötigte er sämtliche Kräfte, um den pendelnden Körper in eine Ruhestellung zu bekommen.
Nur mehr eine Glocke dröhnte über ihm im Turm. Für Sekunden erschreckte ihn der Gedanke, daß sich die Glocke aus ihrer Halterung lösen und nach unten fallen könnte.
Mit letzten, sehr kräftigen Rucken gelang es ihm, auch den dritten Toten in eine Ruhestellung zu bringen. Was er getan hatte, darüber dachte er nicht nach. Die Tatsache, daß Glocken durch Tote geläutet wurden, war eigentlich furchtbar genug.
Ein letztes Nachschwingen der Klänge noch, dann kehrte die Stille ein. Eine Ruhe, die Marek nicht so recht begreifen konnte. Noch immer schwang der Glockenklang in seinem Kopf nach. An die fremdartige Stille konnte er sich einfach nicht so recht gewöhnen. Nun fiel ihm auf, daß er noch immer den dritten Toten umklammerte. Er wollte ihn loslassen, als er die erste sanfte, dann härtere Berührung auf seiner linken Schulter spürte.
Marek erstarrte.
Urplötzlich fühlte er sich in eine irreale, bizarre Welt hineingeschleudert. Er wollte es nicht glauben, er konnte es nicht glauben, er drehte sich auch nicht sofort um, sondern konzentrierte sich.
War ihm jemand gefolgt?
Marek atmete scharfein. Dann — und sehr vorsichtig — drehte er sich um. Seine Hände rutschten dabei von der Kutte des Toten ab. Er sah
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