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Dracula - Stoker, B: Dracula

Dracula - Stoker, B: Dracula

Titel: Dracula - Stoker, B: Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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recht wohl, warum sie die Seele als Schmetterling darstellten.«
    Ich beschloss, seine Analogie bis an ihre logische Grenze zu treiben, und entgegnete schnell:
    »Oh, dann sind Sie jetzt also hinter Seelen her, oder?« Sein Wahnsinn schien seine Vernunft jetzt wieder zu durchkreuzen, denn ein verwirrter Ausdruck trat auf sein Gesicht. Er schüttelte den Kopf so energisch, wie ich es noch nie bei ihm gesehen hatte, und sagte:
    »Oh nein, oh nein! Ich brauche keine Seelen. Leben ist alles, was ich will!« Jetzt wurde er fröhlicher. »Im Moment ist mir das aber alles gleichgültig. Mein Leben ist gut, ich habe alles, was ich |391| brauche. Sie müssen sich wohl einen neuen Patienten suchen, Doktor, wenn Sie noch weiter Zoophagie studieren wollen!«
    Das verwirrte mich, und so drang ich weiter in ihn:
    »Dann sind Sie selbst also Herr über das Leben, Sie sind ein Gott, nehme ich an?« Er lächelte mit einer unsäglich gütigen, überlegenen Miene.
    »Oh nein! Es liegt mir fern, mir selbst die Attribute einer Gottheit anzumaßen. Bin ich ja doch nicht einmal der geistigen Fähigkeiten Gottes teilhaftig. Wenn ich meine intellektuelle Stellung in rein irdischen Dingen präzisieren darf, so bin ich etwa auf der Stufe, die Enoch in religiöser Hinsicht einnahm!« 4 Das war mir nun eine recht harte Nuss. Ich konnte mir im Augenblick nicht ins Gedächtnis zurückrufen, welche Eigenschaften Enoch besessen hatte, musste also, wenn ich ihm folgen wollte, direkt fragen, wenn ich mir auch darüber klar war, dass ich mir damit in den Augen des Kranken eine Blöße geben würde.
    »Warum vergleichen Sie sich mit Enoch?«
    »Weil er mit Gott gehen durfte.« Ich begriff nicht ganz, was er meinte, wollte mir dies aber auch nicht anmerken lassen. Ich griff deshalb noch einmal auf das zurück, was er schon verneint hatte, und fragte:
    »So wollen Sie also nichts mehr mit dem Leben zu schaffen haben und bedürfen keiner Seelen? Warum denn nicht?« Ich stellte die Frage schnell und in einem ziemlich strengen Ton, um ihn zu verblüffen. Die Absicht gelang, denn augenblicklich fiel er wieder in seinen alten, servilen Habitus zurück. Er verbeugte sich und schmiegte sich förmlich an mich, als er antwortete:
    »Ich will keine Seelen, wirklich nicht, nein, wirklich nicht! Ich könnte gar nichts mit ihnen anfangen, wenn ich welche hätte. Ich könnte sie ja doch nicht essen oder …« – er hielt plötzlich inne, und der altbekannte, verschmitzte Ausdruck huschte über sein Gesicht, ganz wie ein Windstoß über einen Wasserspiegel. »Herr |392| Doktor, was das Leben anbetrifft, worum geht es denn da? Alles zu haben, was man braucht, und zu wissen, dass es einem nie an etwas mangeln wird – das ist doch schon alles! Ich habe Freunde, gute Freunde wie Sie, Dr. Seward …« – er blickte bei diesen Worten hinterhältig –, »und ich weiß zugleich, dass mir niemals die Mittel des Lebens fehlen werden.«
    Ich glaube, dass er in diesem Moment durch die Wolken seiner Krankheit hindurch in mir trotz allem den Gegner erkannte, denn plötzlich flüchtete er sich in seine letzte Verteidigungsbastion, ein hartnäckiges Schweigen. Nach kurzer Zeit war ich mir im Klaren darüber, dass es jetzt zwecklos war, noch weiter in ihn zu dringen. Er schmollte, und so ging ich fort.
    Später am Tag schickte er wieder nach mir. Unter gewöhnlichen Verhältnissen hätte ich seine Bitte wohl nicht erfüllt, aber sein gegenwärtiger Zustand interessierte mich so sehr, dass ich die Mühe nicht scheute. Außerdem war ich froh, dass ich etwas hatte, um mir die Zeit zu vertreiben. Harker war ausgegangen, um die Spuren des Grafen weiterzuverfolgen, ebenso Lord Godalming und Quincey. Van Helsing sitzt in meinem Arbeitszimmer und brütet über den von den Harkers zusammengestellten Akten. Er scheint zu hoffen, dass eine genaue Kenntnis sämtlicher Details uns ein paar entscheidende Hinweise zu geben vermöchte, und er hat darum gebeten, ihn nicht ohne einen wichtigen Grund in seiner Arbeit zu stören. Ich hätte ihn ganz gern wieder zu meinem Patienten mitgenommen, dachte mir aber, dass er nach der erlebten Zurückweisung dazu keine besondere Lust mehr haben werde. Außerdem hatte ich noch einen anderen Grund: Renfield würde in Gegenwart eines Dritten nicht so frei sprechen, wie wenn wir beide allein sind.
    Ich fand ihn mitten im Zimmer auf seinem Stuhl sitzend vor, eine Gewohnheit, aus der ich bei ihm immer auf eine geistige Arbeit schließen konnte. Kaum war ich

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