Draculas Eisleichen
berührten.
Er war ein seltsamer, ein ungewöhnlicher Mann, einer, vor dem man Angst bekommen konnte. Sein düsterer Blick traf nicht nur, er glitt auch unter die Haut, als wollte er die Seele des anderen regelrecht verschlingen, um sich selbst neue Energie zuzuführen.
»Bitte«, sagte der Fremde und blieb bei seiner kalten Höflichkeit, als er Mesrin den Weg freigab.
»Und der… der andere?«
»Bleibt bei den Toten.«
Mesrin schluckte, als er die lässig dahin gesprochene Aussage hörte.
Dieser Kerl tat so, als wäre der Vorgang völlig normal. Er bewegte sich innerhalb des Grauens wie auf einer Insel, von der er sich mittragen ließ.
Mesrin passierte ihn. Er war noch völlig durcheinander. Wenn er sprach, bereitete ihm dies Mühe. Sein Geschmack im Mund und in der Kehle war kaum zu beschreiben.
Ihr dürstete nach einem Schluck Wasser, doch das war nicht zu bekommen.
Es gab noch ein Büro, in das er gehen wollte. Der Sanitäter benutzte es zugleich als Wohnraum.
Die Tür war nicht verschlossen. Mesrin machte Licht. Der Lampe hing über dem kleinen Schreibtisch. Dahinter stand das einfache Feldbett mit der grauen Decke.
An einem Kleiderständer hingen noch einige weiße Kittel, zusammen mit der Winterkleidung.
Der Fremde schloß die Tür. Er hatte sich blitzschnell umgeschaut, mit funkelnden Augen, und er war zufrieden, wie sein Nicken deutlich andeutete.
»Noch etwas?« fragte Mesrin. Er wunderte sich über seinen Mut.
»Du kannst dich setzen.«
Mesrin zog den Schreibtischstuhl heran und nahm darauf Platz. Der unheimliche Besucher blieb mit dem Rücken zur Tür stehen. Er schaute sich um. Ein Fenster gab es nicht. Der kleine Ofen spendete bullige Wärme. Mesrin fand es überheizt, er schwitzte. Das lag möglicherweise auch nur an ihm selbst. Wer konnte das schon sagen?
Noch immer wußte er nicht, mit wem er es zu tun hatte und fragte deshalb: »Wer sind Sie?«
»Ich heiße Stepanic!«
Es war eine klare, eine deutliche Antwort, und Mesrin dachte über den Namen nach.
Nein, gehört hatte er ihn noch nie. Sosehr er sich auch den Kopf zerbrach, er kam zu keinem Ergebnis. In seinem Bekanntenkreis existierte kein Mann mit diesem Namen. Außerdem hörte er sich nicht russisch an, sondern mehr jugoslawisch.
»Ich kenne Sie nicht.«
»Das hatte ich mir gedacht.«
»Und was wollen Sie dann hier?«
Stepanic kam vor und nahm auf der Kante des Schreibtisches Platz.
Wieder lächelte er, doch es war ein freudloses und kaltes Lächeln, das er seinem Gegenüber schickte. »Ich bin nicht freiwillig gekommen, das können Sie mir glauben. Gewisse Umstände haben mich leider dazu gezwungen, und ich werde dieser Aufgabe nachgehen.«
»Ich weiß noch nicht…«
»Keine Sorge, Mesrin, du erfährst viel. Zunächst einmal möchte ich dir sagen, daß ich in dieser Station bleiben werde. Du wirst mich verstecken, das muß dir möglich sein. Ich habe mir die Station als Hauptquartier ausgesucht. Die beiden Leichen werden wir noch in dieser Nacht fortschaffen. Wenn nach ihnen gefragt wird, laß dir eine Ausrede einfallen. Das also geht klar.«
Mesrin stellte fest, daß dieser Mensch bereits das Kommando übernommen hatte. Zwar lag ihm der Widerspruch auf der Zunge, aber vor den so arrogant gesprochenen Worten schreckte er zurück. Er schaffte es einfach nicht, dagegen zu reden. Er schaute nur in das kalte Gesicht, dessen Haut einen gelblichen Schimmer bekommen hatte. Die Augen schienen dabei noch mehr zurückgetreten zu sein, als wollten sie sich in den Höhlen verkriechen.
»Kann ich mich auf dich verlassen?«
»Ich… ich werde es versuchen.«
»Es muß einfach klappen, sonst bist du der nächste!«
Diese einfach dahingesprochene Drohung erschreckte Mesrin. Er ging davon aus, daß sie kein leeres Geschwätz war. Dieser Stepanic wußte genau, was er wollte.
»Was noch?«
»Nun ja.« Stepanic bewegte seine Finger, sie knackten. Dann schaute er auf seine Hände, dachte nach und hob die Augenbrauen. »Ich weiß, daß Sie bereits etwas entdeckt haben.«
»Was denn?«
Der Fremde schaute in sein Gesicht. »Den Toten, zum Beispiel, mein Freund. Die Gestalt im Eis. Ich habe dich beobachtet, du bist in die Felsen gegangen.«
»Das stimmt.«
Stepanic reagierte nicht. Statt dessen schaute er gegen die Wand, wo eine alte Fotografie hing, die das Gesicht einer schon älteren Frau zeigte. Es war die Mutter des Sanitäters, die in Kiew in einem Heim lebte.
»Was hast du gedacht?«
»Nichts!«
Die Antwort kam viel zu
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