Dracyr – Das Herz der Schatten
«
Der Mann, der still und reglos hinter ihr gestanden hatte, schwang sich mit einer schnellen Bewegung neben sie auf die Bank. Sie warf ihm einen erschreckten Blick zu, der von seiner Kapuze abprallte.
» Kay « , murmelte der Mann. » Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen. Es tut mir leid. «
Er wandte den Kopf und gewährte ihr einen Blick in sein Gesicht. Es war, als träfe sie eine Eisenfaust mitten in die Brust. Ihr Atem stockte und aufschieÃende Tränen verschleierten ihren Blick. » Bradan! «
Seine Hand berührte ihre Finger, umschloss sie warm und fest. » Kay « , wiederholte er. » Es tut mir so leid. «
Sie blinzelte die Tränen weg. Seine schwarzen Haare, die lockig in seine Stirn fielen. Die kleine Narbe unter dem linken Auge, die er ihr verdankteâ sie hatte in einem Wutanfall einen Becher nach ihm geworfen und ein Splitter hatte ihm die Haut aufgeschlitzt. Sein Mund, der lächelnde, der ihr vorgelesen hatte, ihr Lieder gesungen, mit ihr geschimpftâ¦
» Bradan « , sagte sie. » Sie haben gesagt, du seist tot. «
» Es war einer unserer Jungs « , warf der Duke ein, der sie teilnahmsvoll beobachtete. » Georgie. Von seinem Gesicht war nicht mehr viel zu erkennen, als sie mit ihm fertig waren, aber er trug Briefe bei sich, die an deinen Bruder gerichtet waren. Also nahmen sie an, sie hätten den gesuchten Aufrührer Bradan Devrillan erwischt und getötet. « Er grinste schief. » Wir haben es ihnen nicht ausgeredet. «
» Duke « , mahnte Bradan. » Nicht so laut. «
Kay rieb sich mit dem Ãrmel über die Augen und umklammerte die Hand ihres Bruders. » Du hättest es mir sagen müssen. « Sie starrte Leon wütend an. » Du hast mich erkannt, Duke. Du hättest⦠«
» Er wusste doch nicht, wo du stehst « , unterbrach Bradan sie. » Und er macht von uns allen seit Monaten den gefährlichsten Job. Wenn sie herausfinden, dass der Duke von Thorsdale lebt und in der Burg ein- und ausgeht⦠«
Kay unterdrückte einen Ausruf. » Du bist� «
Leon verneigte sich im Sitzen. » Der jüngste und letzte noch lebende Sohn eines vormals angesehenen Geschlechtes, nunmehr bekannt als der Duke vom Schweinestall. Aroleon Quentin Thorsdale, zu Euren Diensten, Mistress Karolyn. «
Kay vergrub das Gesicht in den Händen, mit einem Mal von Schwäche übermannt. Die Freude darüber, dass ihr Bruder noch lebte, die ausgestandene Angst, das Wissen darum, dass sie kein Wort darüber verlauten lassen durfte, inzwischen selbst zu den Schattenreitern zu gehören⦠es war zu viel.
» Du hättest mich getötet? « , fragte sie, ohne ihren Bruder anzusehen. Es klang wie ein Echo der Frage, die sie Damian gestellt hatte. Sie gluckste. Nicht, dass es einen Grund gegeben hätte, in Gelächter auszubrechen, aber wie absurd das alles doch war! Wie konnte sie ernsthaft ihrem eigenen geliebten Bruder die Frage stellen, ob er sie kaltblütig ermordet hätte, wenn sie eine falsche Antwort auf Leons Fragenâ¦
Dann fiel ihr auf, dass Bradan nicht antwortete. Sie riss den Kopf herum und sah ihn eindringlich an. » Bradan? «
Er blinzelte. Dann senkte er die Lider, sodass seine langen Wimpern Schatten auf seine Wangen warfen. Seine Lippen, weich geschwungen wie die einer Frau, schlossen sich zu einer festen, schmalen Linie zusammen. Ein kalter Hauch strich über Kays Herz und lieà es gefrieren.
» Du bist schon der zweite « , murmelte sie und wandte den Blick ab. Sie löste ihren Griff aus Bradans Fingern und legte die Hand um ihren Becher. » Nun, ich sollte dankbar sein, dass ich noch atme, richtig? «
» Kay « , sagte Bradan hilflos, » versteh doch⦠«
» Ich verstehe ja « , sagte sie schroff. » Schon gut. Ich muss zurück. « Sie trank ihr Bier aus und wollte aufstehen, aber Bradan hielt sie zurück. Er neigte sich zu ihr, seine Wange berührte ihre, er sah ihr in die Augen.
» Du verstehst es nicht « , flüsterte er. » Es geht nicht nur um mich oder dich. So viel hängt davon ab, was in den nächsten Tagen und Wochen geschieht. Wenn auch nur die kleinste Möglichkeit besteht, dass jemand uns verrätâ und sei es unwillentlichâ, dann werden viele, viele Menschen leiden, bluten und sterben. Und die Herrschaft des Bösen wird weiter bestehen, solange Lord Harrynkar lebt und
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