Dragons Schwur
gehabt – sie war überrascht, als sie sich seine Noten anschaute. »Er ist praktisch ein Musterschüler«, murmelte sie vor sich hin, während sie die Unterlagen durchging. Sie war auch überrascht, wie die anderen Jungvampyre mit ihm umgingen, vor allem jene, die sie zuvor um einen Liebeszauber gebeten hatten.
Sie verabscheuten ihn nicht.
Zugegeben, sie umschwärmten ihn auch nicht mehr oder flirteten mit ihm. Nun ja, keiner der Jungvampyre, die sie um einen Liebeszauber gebeten hatten, flirtete mit ihm. Einige andere … schon.
Anastasia versuchte, darüber hinwegzusehen.
Dennoch fiel ihr auf, dass die Jungvampyre insgesamt zu ihm aufschauten. Er war bei allen beliebt, den Lehrerinnen eingeschlossen. Dragon war charmant und arrogant, witzig und verschmitzt.
Und er war freundlich.
Darüber konnte Anastasia einfach nicht hinwegsehen.
Wann immer sie sich in den nächsten Tagen über den Weg liefen, was häufig vorkam, suchte er den Blickkontakt. Seine Augen verweilten auf ihr. Ihre Augen verweilten auf ihm.
Und jeden Morgen fand sie in einer Kristallvase auf ihrem Pult eine frische Sonnenblume.
Anastasia war davon überzeugt, dass das gesamte House of Night über die Blicke tuschelte, die zwischen dem jüngsten Schwertmeister und der jüngsten Lehrerin gewechselt wurden. Doch dann stellte sich heraus, dass alle völlig von einem furchtbaren Menschen namens Jesse Biddle abgelenkt wurden.
»Es ist, als wollte er uns aufstacheln«, sagte Diana, als der Tower-Grove-Rat im Lehrerzimmer zusammenkam.
Anastasia, die bei Ratssitzungen noch nervös war, nahm eilig Platz und versuchte, nicht überrascht auszusehen, als Shaw, der Anführer der Söhne des Erebos, den Raum betrat, gefolgt von zwei Begleitern und Dragon Lankford.
Ihre Augen begegneten sich einen Herzschlag lang, und er nickte kurz, bevor er die Hohepriesterin mit einer Verneigung begrüßte.
»Gut, dann sind alle hier«, verkündete Pandeia. »Die Ratssitzung kann offiziell beginnen.« Sie wandte Shaw ihre Aufmerksamkeit zu. »Erkläre genau, was letzte Nacht geschehen ist.«
»Es war kurz nach Mitternacht. Die Töchter der Dunkelheit waren nach Bloody Island gegangen, um für die Sechstklässler das Fautor-per-Fortuna-Ritual durchzuführen. Als sie Nyx um ihren Segen und gutes Gelingen bei der Wandlung baten, trat Biddle aus dem Schatten, stieß die Ritualkerzen um und durchbrach den Kreis«, berichtete Shaw und schüttelte voller Abscheu den Kopf. »Dieser Mensch vertrieb sie von der Insel. Die Hohepriesterin in Ausbildung sagte, sein heißer, schwerer Blick habe auf allen Mädchen geruht, und sie hätten sich nach der Rückkehr in ihre Zimmer befleckt gefühlt.«
»Sie sagt, sie halte ihn für ziemlich verrückt«, fügte Diana hinzu.
Pandeia sprach mit fester Stimme: »Ich habe die Jungvampyre heute besucht und kann euch sagen, dass ich in ihnen ein Echo von Angst und von etwas Dunklem und Schwerem gespürt habe.« Die Hohepriesterin wandte sich an Anastasia: »Hast du ihre Zimmer mit Kräuterbündeln ausgeräuchert?«
»Das habe ich getan, und sie sagten unmittelbar danach, dass sie sich besser fühlten –
leichter
, so haben sie sich ausgedrückt.«
Diana durchbohrte Shaw förmlich mit ihrem Blick. »Und weshalb war kein Krieger da, um unsere Jungvampyre zu schützen?«
»Die Töchter der Dunkelheit hatten beschlossen, dass sie den männlichen Jungvampyren aus der sechsten Klasse den Segen als Geschenk überreichen wollten. Daher waren keine männlichen Jungvampyre und Erwachsenen bei dem Ritual zugegen. Ihr wisst, dass die Töchter der Dunkelheit ihre Rituale oftmals getrennt von den Söhnen der Dunkelheit durchführen«, erklärte Shaw. Anastasia merkte, dass er sich nur mit Mühe beherrschen konnte. »Darum habe ich auch Dragon Lankford zu dieser Ratssitzung mitgebracht. Ich schlage vor, dass von nun an, selbst wenn die Rituale nur von Frauen vollzogen werden, männliche Jungvampyre anwesend sind. Sie können sich außerhalb des Kreises aufhalten.«
»Reicht das als Schutz aus?«, erkundigte sich die Literaturprofessorin Lavinia. »Sollten unsere Vampyr-Krieger nicht die Jungvampyre beschützen? Vielleicht sollten sie sie begleiten, wann immer sie das Schulgelände verlassen.«
Diana schnaubte verächtlich. »Nun, wenn wir sie wie Gefangene halten wollen. Unsere Jungvampyre, vor allem die weiblichen, müssen ungehindert kommen und gehen können, und zwar ohne bewaffnete Leibwache.«
Pandeia seufzte. »Vielleicht sollte man den
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