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Dramen

Titel: Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wedekind
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ergreifen!
(Klara ins Gesicht sehend)
Aber nun sag mir endlich einmal, mein liebes Kind, was ist denn nun eigentlich mit dir?! – Seit Tagen und Wochen bist du unausgesetzt in einer Stimmung, als hättest du einen Tümpel voll Kröten verschluckt! Das wird für deine Umgebung auf die Dauer einfach zur Quälerei! Wir bemühen uns hier alle auf das redlichste, um dir dein Unglück so erträglich wie nur irgend möglich zu machen! Jeder Mensch im Hause tut, was er dir an den Augen absehen kann! Und für alles Zartgefühl bekommt man von Morgen bis Abend immer nur das gleiche saure Gesicht zu sehen. Ich wiederhole mir jede Minute, wie unendlich viel du durch mich gelitten hast und wie große Opfer ich dir zu danken habe. Aber ich habe wie jeder Künstler meine Nerven. tagaus tagein ununterbrochen die verkörperte Unzufriedenheit, die sich durch keine Liebenswürdigkeit erschüttern läßt, vor Augen zu haben, das bringt einen schließlich zur hellen Verzweiflung!
    Klara
    Mit mir ist nichts.
    Josef
    Das hast du mir schon ein halbes Dutzend mal geantwortet! Wenn nichts mit dir ist, dann benimm dich bitte wie andere Menschen! Ist dir das aber nicht möglich, dann sag mir, was dich daran hindert! Meine Geduld hat schließlich auch ihre Grenzen! Welchen Vorteil erhoffst du dir denn davon, daß du dein Leben damit hinbringst, über längst vergessene Unglücksfälle zu trauern, an denen mit dem besten Willen kein Mensch mehr was ändern kann! Raff doch lieber deine eingeschüchterten Lebensgeister durch einen kräftigen Ruck zusammen und frag dich endlich einmal, wie du dir mit den Hilfsmitteln, die dir augenblicklich zur Verfügung stehen, ein neues, freieres Leben gestalten kannst! Ich rate dir das weiß Gott im Himmel nicht mit der geheimen Absicht, mich deiner zu entledigen! Aber du leidest offenbar an einer Art von Willenslähmung! Du bist infolge deiner aufregenden Erlebnisse Neurasthenikerin geworden! Sobald dein Wille wieder ein festes Ziel erfaßt hat, wirst du mit uns anderen, denen es im Grunde genommen nicht um ein Haar besser geht als dir, deines Daseins endlich auch wieder froh werden können!
    Klara
    Mit mir ist nichts.
    Josef
    Nichts? – Nichts! – Nichts bis auf deine verbissene halsstarrige Melancholie, die dich für die bestgemeinten Ratschläge, die man dir erteilt, taub und blind macht! – Es ist rein um aus den Fugen zu gehen! –
(Von jetzt ab ganz kalt)
Meiner selbstlosen unbestechlichen Vernunft nach, für deren Ergebnis ich meinerseits jede Verantwortung ablehne, führt dein Verhalten zu folgendem logischen Schluß. Von jedem modernen Mediziner wird gegen das Leiden, unter dem du dahinsiechst, als erstes und sicherstes Mittel – Luftveränderung verordnet. Mit dem Gelde, das ich dir monatlich von meiner Schuld zurückzahle, kannst du bei deiner Mutter in der Schweiz in jeder Hinsicht behaglicher leben als hier bei uns! Sobald du dich dann von deiner Schwermut nur halbwegs erholt hast – und du wirst dich unter völlig veränderten Verhältnissen rascher erholen, als es dir jetzt glaubhaft erscheint…
    Klara
    Ich kann augenblicklich nicht zu meiner Mutter.
    Josef
    Sag mir bitte, warum nicht!
    Klara
aufflammend
    Dir, mein Freund, das zu sagen, kann mir noch einmal in diesem Leben einfallen! Alle himmlischen Mächte mögen mich vor dieser Greueltat bewahren! Ohne mich eines Unrechtes zu versehen, bin ich zur gemeinen, verabscheuungswürdigen Verbrecherin geworden! Die niedrigste Entwürdigung, die einem weiblichen Wesen vorbehalten ist, habe ich bis zur Grundhefe ausgekostet, weil ich einmal feige genug war, dir zu offenbaren, wie es mit mir stand! – Nein, mein lieber Freund! Das Kind, das ich jetzt von dir unter dem Herzen trage, ist vor deinen wohlgemeinten Ratschlägen in Sicherheit! Dies Kind gehört mir! Was ich noch an Schrecknissen auszustehen haben werde, bis es das Licht der Welt erblickt, das will ich, wenn Gott mir hilft, mit der letzten Kraft, die mir aus meinen Erlebnissen übrig geblieben ist, freudig auf mich nehmen! Und nachher – nachher habe ich dann Gott sei Dank wenigstens ein lebendes Geschöpf auf dieser Welt, bei dem ich alles Unrecht, das ich erlitten – bei dem ich meine wundervolle Stimme, meine Kunst – bei dem ich alle irdische Herrlichkeit, die ich einst aus meiner künstlerischen Begabung erhoffte – bei dem ich alles, alles vergessen kann!
    Josef
ist fassungslos in einen Sessel gesunken
    – Klara – Klara – ich kann es nicht glauben! – Sollte das wahr

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