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Draußen wartet die Welt

Draußen wartet die Welt

Titel: Draußen wartet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Grossman
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als ich gerade Janie ins Bett brachte, rief Rachel von unten zu mir herauf: »Du hast Besuch.« Ich ging aus Janies Zimmer, schaute die Treppe hinunter und sah Valerie neben der Haustür im Flur stehen. An ihrem Finger hing der Haken eines metallenen Kleiderbügels. Unter der durchsichtigen Plastikhülle konnte ich mein Kleid, meine Schürze und meine Kapp erkennen.
    Ich ging nach unten und Valerie machte einen Schritt auf mich zu und streckte mir den Kleiderbügel hin. »Ich habe es reinigen lassen.« Ihre Stimme quietschte beinahe, aber ihre Worte klangen sehr bedacht. Ich spürte das weiche, leicht klebrige Plastik, als ich Valerie den Bügel aus ihrer ausgestreckten Hand nahm.
    Der chemische Geruch, der von dem Kleid ausging, war zwar sauber, aber nicht frisch. Ich musste an die Waschtage zu Hause denken, wenn meine Mutter und ich die nasse Kleidung durch die Mangel drehten und sämtliche Kleidungsstücke nebeneinander auf die Leine hängten.
    Als ich ein Husten hörte, hob ich meinen Blick wieder. Ich war überrascht, als ich sah, dass Valerie noch immer vor mir stand. »Wolltest du sonst noch was?«
    »Ja. Ich dachte, dich würde vielleicht interessieren, dass alle sauer auf mich sind. Mal wieder. Aber du hast mir schließlich gesagt, dass ich mir dein Kleid mal ausleihen kann. Und ich habe auch gut drauf aufgepasst, oder etwa nicht?«
    Ich räusperte mich. »Es hat mir wohl nicht so gut gefallen, in eine Witzfigur verwandelt zu werden.«
    Valerie nickte. »Na ja, um ehrlich zu sein, bin ich es leid, mir darüber Gedanken zu machen, was dir gefällt und was nicht. Weißt du, für mich ist das alles nicht so toll gelaufen, seit du hier angekommen bist. Ich habe nicht nur nach dem Ball Ärger gekriegt, sondern auch weil ich eine Amische zu Missetaten angestiftet habe.« Sie warf ihr Haar mit einem Kopfschütteln zurück. »Und was Josh angeht … Ich weiß, dass das eine uralte Geschichte ist und mir eigentlich egal sein sollte … Aber als wir zusammen waren, wirkte er immer so gelangweilt. Oder er hat die Augen verdreht, als sei ich für ihn nicht weltgewandt genug. Und dann tauchst du auf und mit einem Mal ist er total fasziniert von dir. Das verstehe einer.«
    »Und deshalb hast du beschlossen, dich über mich lustig zu machen?«, fragte ich, und meine Stimme klang kräftiger.
    »Eigentlich nicht. Ich wollte nur mit meiner Schwester Halloween feiern und brauchte noch ein …« Ihre Stimme erstarb.
    »Ein Kostüm?«
    Valerie schwieg und schaute mich mit zusammengekniffenen Augen an, so als versuche sie, mich deutlicher zu sehen. »Na ja, das machst du hier doch auch, oder? Verkleidest du dich nicht auch und ziehst dich so an wie wir?«
    Ich schnappte nach Luft, aber ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte.
    »Ich fand, dass ich die ganze Zeit echt nett zu dir war. Ich habe dich mit zum Shoppen genommen und dich meinen Freunden vorgestellt. Und dann sagst du mir ins Gesicht, dass man mir nicht vertrauen kann. Na ja, ich wollte nur, dass du weißt, dass du nicht die Einzige bist, die man beleidigt hat.«
    Das Ganze war für mich ein bisschen viel auf einmal. Valerie hatte mich sehr verletzt, und das würde ich sicher nie vergessen. Aber aus ihrer Sicht fühlte sie sich ebenfalls verletzt.
    »Es tut mir leid«, sagte ich. »Als ich hierhergekommen bin, dachte ich, wir könnten Freundinnen werden.«
    Valerie erwiderte nichts. Ihre Augen wirkten, als schaue sie in die Ferne, und ihre Miene war völlig starr. Sie hatte ihre Daumen in die Gürtelschlaufen ihrer Jeans eingehakt und tippte immer wieder mit ihren Turnschuhen auf den Boden. Sie würde die Entschuldigung nicht erwidern. Sie wartete darauf, dass ich sie entließ.
    »Danke, dass du das Kleid hast reinigen lassen«, sagte ich.
    Sie nickte, drehte sich um und ging. Ich sah ihr nach und musste daran denken, was sie normalerweise sagte, wenn sie sich verabschiedete. »Wir sehen uns« oder »Bis später« oder einfach »Bis dann«. Ich war froh, dass sie keine dieser Floskeln rief, weil sie sowieso nicht wahr gewesen wären. Ich würde Valerie nicht wiedersehen.
    Ich trug das Kleid in mein Zimmer hinauf, holte es aus der durchsichtigen Hülle und ließ sie auf den Boden fallen. Es war so glatt gebügelt, dass es beinahe künstlich aussah. Ich zog meine Jeans und mein Sweatshirt aus und ließ sie auf einem kleinen bunten Haufen neben der Plastikhülle auf dem Boden liegen. Ich schlüpfte in mein Kleid, und meine Haut kribbelte, als ich von einem Gefühl

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