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Draußen wartet die Welt

Draußen wartet die Welt

Titel: Draußen wartet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Grossman
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Sie legte einen Arm um meine Schultern und zog mich ganz fest an sich. Ich platzte beinahe vor Gefühlen, die ich nicht benennen konnte, und am liebsten hätte ich die Aufregung dieses Augenblicks für immer festgehalten. Dann flüsterte mir meine Mutter ins Ohr: »Wir schicken dich fort, damit du bei uns bleibst.«
    Ich wollte nicht über ihre Worte nachdenken. Selbst in all meiner Aufregung konnte ich nicht vergessen, dass sie gesagt hatte, sie würde mich lieber unglücklich zu Hause sehen als glücklich und weit fort. Als ich mich aus ihrer Umarmung löste, um sie anzusehen, starrten ihre silbergrauen Augen scheinbar ins Leere.
    Der Rest des Tages fühlte sich völlig unwirklich an, so als würde ich durch Wasser rennen. James nahm mich fest in die Arme. »Jetzt bist du dran«, flüsterte er. Er klang ein kleines bisschen wehmütig.
    Ruthie warf sich in meine Arme und ihr Gesicht klebte vor Tränen. »Es ist doch nur den Sommer über«, sagte ich. »Ich bin schneller wieder zurück, als du glaubst.«
    Als ich meiner Mutter bei den Vorbereitungen für den Eintopf fürs Abendessen half, spürte ich, dass sie mich ansah. Ich drehte mich zu ihr um. »Diese Woche fahre ich mit dir einkaufen«, sagte sie. »Du brauchst ein paar neue Kleider, die du mitnehmen kannst.« Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Dann verfiel ihre Stimme wieder in die übliche Strenge. »Du wirst uns das Geld von deinem Lohn zurückzahlen.« Ich nickte glücklich.
    Nach dem Abendessen verließ mein Vater das Haus, um sich mit Mr Allen in der Pension zu treffen. Er kehrte mit einem vorsichtigen Lächeln auf dem Gesicht zurück. »Die Dinge gehen schnell in der Welt dort draußen«, sagte er. »Mr Allen hat das Telefon abgenommen, und im nächsten Moment hörte ich schon Mrs Asters Stimme, die mir gesagt hat, dass sie dich am Sonntagmorgen um zehn Uhr abholen wird.« Er zwinkerte mir zu, bevor er hinzufügte: »Du musst dann auch nicht mit zur Gemeindeversammlung.«
    Ich hielt den Atem an. In nur einer Woche würde ich in Mrs Asters Auto steigen und von hier fortfahren. Dort draußen wartete die Welt und in einer Woche würde ich sie kennenlernen.

 
Kapitel 9
    Wie versprochen, ging meine Mutter mit mir einkaufen. Anschließend rannte ich aufgeregt in mein Zimmer und leerte die Einkaufstüten aus, sodass meine neuen Kleider in einem bunten Haufen auf dem Bett lagen. Als Erstes griff ich nach der Jeans und musste daran denken, wie meine Freundinnen und ich in der Stadt immer mit dem Finger auf die englischen Mädchen gezeigt hatten, weil wir dachten, sie trügen Jungenkleidung. In der Umkleidekabine hatte ich festgestellt, dass es gar nicht so einfach war, die Jeans anzuziehen – ich musste mich richtig hineinschlängeln. Es gefiel mir, wie sich die Jeans an meine Beine schmiegte, aber ich war überrascht, wie steif sich das Material anfühlte. Als meine Mutter sah, wie ich am Hosenbund herumzupfte, lächelte sie. »Jeans fühlen sich bequemer an, wenn sie ein paarmal gewaschen wurden«, erklärte sie. Als ich in den Spiegel schaute, sah ich mich selbst zum ersten Mal in einer Hose.
    Jetzt, in meinem Zimmer, strich ich über meine neue Garderobe und genoss das Gefühl der Vielfalt. Neben der Jeans bestand sie aus weichen Baumwoll-T-Shirts, jedes in einer anderen Farbe oder mit einem anderen Muster, Blusen, die vom Kragen bis zum Saum mit Knöpfen versehen waren, einer Kakihose und zwei kurzen Hosen. Außerdem hatte ich neue Schuhe – ein Paar Sandalen und ein Paar blaue Turnschuhe. Als ich all die Kleider ausgebreitet auf meinem Bett sah, musste ich an einen Tag in der Stadt denken, als Kate und ich uns heimlich eine Ausgabe der Zeitschrift Seventeen gekauft und durch die Seiten mit den großen, dünnen Mädchen geblättert hatten, die so kunstvoll geschminkt waren, dass ihre Wimpern glitzerten und ihre Wangen leuchteten. Ich erinnerte mich daran, wie ich zusammen mit Kate versucht hatte, wie die Mädchen auf diesen Bildern zu posieren: eine Hand in der Hüfte, Schmollmund und den Kopf in einer hochmütigen Pose in den Nacken geworfen.
    Ich verbrachte einige Zeit damit, die neuen Kleider in verschiedenen Outfits zu kombinieren – die rosafarbene Spitzenbluse mit der Kakihose oder das blau gestreifte T-Shirt mit der Jeans. Die Kleider auf meinem Bett sahen zwar nicht ganz so aus wie die, die wir in der Zeitschrift gesehen hatten, aber sie gehörten mir. Wenn ich sie trug, würde ich wie eine völlig neue Version von mir aussehen

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