Draußen wartet die Welt
mein Vater seinen Hut und seine Jacke aus, während meine Mutter ihren Schal aufhängte. Sie kamen schweigend ins Wohnzimmer und setzten sich mir gegenüber auf die Couch.
Meine Mutter sprach als Erste. »Sag uns zuerst, dass es dir gut geht und dass du den Gottesdienst nicht verlassen hast, weil du krank bist.«
»Ich bin nicht krank«, erwiderte ich mit leiser Stimme. »Ich wollte einfach nicht mehr dort sein. Ich habe mich gefühlt wie eine Gefangene.«
Sie tauschten kurz einen Blick und sahen dann wieder mich an. »Eliza«, sagte mein Vater ruhig, »ich glaube, du weißt, dass dein Verhalten heute inakzeptabel war.«
»Ich weiß. Es tut mir leid.«
»Und ich muss dir auch nicht sagen, dass es vor den Ältesten nicht gut aussieht, wenn eins unserer Kinder aus dem Gottesdienst wegrennt«, fügte meine Mutter hinzu.
»Ich weiß«, wiederholte ich. Es schien, als würde es noch eine Ewigkeit dauern, bis sie mir endlich sagten, wie meine Strafe aussah. Ich erwartete, im kommenden Monat keine Partys mehr besuchen zu dürfen. Vielleicht sogar noch Schlimmeres. Ich wünschte nur, sie würden es mir endlich sagen.
Mein Vater räusperte sich, und ich bereitete mich darauf vor, meine Strafe zu erhalten. »Wie du weißt, hoffen wir Amisch, dass unsere Jugendlichen sich für unsere Lebensweise entscheiden, nachdem sie sich ein wenig ausgetobt haben.« Ich seufzte, als mir bewusst wurde, dass diese Ansprache sogar noch länger dauern würde, als ich befürchtet hatte. Die Stimme meines Vaters klang förmlich, so als halte er eine Rede. »Aber manchmal, wenn wir unseren Kindern nicht genügend Freiheiten zugestehen, entschließen sie sich gegen unsere Lebensweise, um herauszufinden, was sie verpassen. Ich glaube, genau das ist auch mit Kates Bruder William passiert.« Ich nickte, nicht sicher, worauf mein Vater eigentlich hinauswollte.
»Verstehst du, was wir dir damit sagen wollen?«, fragte meine Mutter.
»Nein«, erwiderte ich. »Und warum hat Ruthie geweint?«
Meine Mutter sah meinen Vater an, bevor sie sich wieder mir zuwandte. »Ruthie hat geweint, weil sie dich vermissen wird.«
Ich richtete mich auf und mein Herz pochte wie wild. »Mich vermissen?«, fragte ich. Meine Worte waren nicht mehr als ein krächzendes Flüstern.
»Letzten Montag, nach Mrs Asters Besuch, ist dein Vater in die Pension gefahren, um sich mit ihr zu treffen und mit Mr Allen zu sprechen. Anscheinend ist sie eine gute Freundin von Mr Allen und er hat sie wärmstens als Arbeitgeberin für dich empfohlen.« Ich legte meine Hand auf meinen Mund. Ich konnte kaum glauben, dass das wirklich passierte.
Mein Vater fuhr fort: »Deine Mutter und ich haben uns sehr ausführlich unterhalten, aber wir sind immer noch nicht in allem einer Meinung.« Er sah sie mit einem Lächeln an. Sie nickte und senkte den Kopf. »Aber wir wollen beide das tun, was das Beste für dich ist. Ich bin zuversichtlich, dass Mrs Aster dir ein sicheres Zuhause bieten wird, solange du nicht bei uns bist. Wir haben über deinen Lohn gesprochen und uns darauf geeinigt, dass du den Sommer über für sie arbeiten wirst. Mr Allen wird ihr Bescheid geben, damit sie dich abholen kommt, sobald wir alle nötigen Vorbereitungen getroffen haben.«
Ich nahm meine Hand wieder vom Mund. »Obwohl ich mich heute so benommen habe, lasst ihr mich immer noch gehen?«
»Vielleicht sogar deshalb«, antwortete mein Vater. »Ich glaube, dass du ein wenig Zeit brauchst, weg von hier, um schätzen zu lernen, welchen Wert die Dinge wirklich haben, die wir versucht haben, dir beizubringen. Und um Antworten auf einige der Fragen zu finden, die du über das Leben dort draußen hast. Wir haben Angst, dass du uns eines Tages für immer verlässt, wenn wir dich jetzt nicht ziehen lassen. Und das wäre viel schlimmer, für uns alle.«
Auf wackligen Beinen ging ich zur Couch hinüber und setzte mich neben meinen Vater. Ich vergrub mein Gesicht in seiner Schulter und spürte das tröstliche Kratzen seines Bartes an meiner Wange, während er seine Hand um meinen Hinterkopf legte. Ich wurde von heftigem Schluchzen geschüttelt. Als wir einander losließen, trocknete ich mir die Augen mit einem Zipfel meiner Schürze ab.
Ich schaute an meinem Vater vorbei zu meiner Mutter, die mit einem Mal ganz klein wirkte. Ihre Hände ruhten mit den Handflächen nach oben in ihrem Schoß und sie sah sehr traurig aus. Mein Vater erhob sich und ließ uns allein. Meine Mutter legte ihre Hand auf meine. »Danke«, sagte ich.
Weitere Kostenlose Bücher