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Draußen wartet die Welt

Draußen wartet die Welt

Titel: Draußen wartet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Grossman
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und nicht mehr wie jedes andere Mädchen in unserem Bezirk.
    Es war eine geschäftige Woche. Am Donnerstag half ich meiner Mutter, den Fremdenabend vorzubereiten, und mir wurde bewusst, dass es eine ganze Weile dauern würde, bis ich diese Arbeit erneut verrichten würde. Während ich unsere Gäste bediente, musste ich bei dem Gedanken daran, dass ich schon in drei Tagen in ihrer Welt leben würde, beinahe kichern. Ich arbeitete außerdem jeden Tag in der Pension und verabschiedete mich nach meiner Schicht am Samstag von Jenny und Mr Allen.
    An diesem Abend trafen sich unsere Verwandten und Freunde bei uns zu Hause, um mich zu verabschieden und mir viel Glück für meine Reise zu wünschen. Meine Mutter und Margaret waren in der Küche, schnitten Kuchen auf und schenkten Kaffee ein, aber ich musste ihnen nicht dabei helfen. Ich war der Ehrengast.
    Als Mary und Sally eintrafen, nahm ich sie mit hinauf in mein Zimmer, wo ich all meine englischen Kleider auf dem Bett ausgebreitet hatte. Sie quietschten und kicherten, fuhren mit ihren Fingern über die Stoffe und hielten sich die kurzen Hosen hin, um zu sehen, wie viel nacktes Bein sie preisgaben. Wir staunten gemeinsam über die verschiedenen Knöpfe, mit denen man die Hosen zumachte und die in perfekten Reihen die Vorderseiten der Blusen zierten. So oft hatten wir uns leise flüsternd über Knöpfe unterhalten, genau wie über Telefone, das Tanzen und viele andere Geheimnisse der englischen Welt. Und nun würde ich sie jeden Tag an meiner Kleidung tragen.
    Als wir wieder zu den anderen Gästen nach unten gingen, wurde ich nicht nur von allen herzlich umarmt, sie gaben mir auch ihre Geschichten und gute Ratschläge für mein Leben mit den Englischen mit auf den Weg. Onkel Ike ermahnte mich, mein Geld stets an einem sicheren Ort zu verwahren, und Tante Miriam sagte mit bitterer Miene: »Vergiss nicht, auch in der modernen Welt bleibst du trotzdem einfach.«
    Ich nickte höflich. Es war typisch, dass Onkel Ike nur ans Geld dachte und Tante Miriam mich mit strengen Worten verabschiedete. Glücklicherweise nahm mich genau in diesem Moment jemand bei der Hand, und als ich den Kopf hob, sah ich, dass es Kate war. »Tja, ich schätze, dann werde ich dich wohl doch vermissen«, sagte sie. Ich drückte ihre Hand. Annie tauchte neben Kate auf und zu dritt schlängelten wir uns zwischen all den Menschen hindurch auf die Veranda hinter dem Haus. Wir setzten uns auf die Verandaschaukel, ich in der Mitte. Ich stieß mich mit dem Fuß von den Bodenbrettern ab und die Schaukel setzte sich sanft in Bewegung.
    »Ich werde euch schreiben und euch alles erzählen.«
    »Vergiss bloß nicht, mir von all den Yankee-Jungs zu berichten«, sagte Annie, und ihre braunen Augen weiteten sich aufgeregt.
    Ich atmete den süßlichen Duft des Sommerabends und die Wärme meiner Freundinnen ein, die zu beiden Seiten neben mir saßen. »Ich glaube nicht, dass ich irgendwelche Jungs kennenlernen werde«, sagte ich. »In dem Haus, in dem ich wohne, gibt’s nur kleine Kinder.«
    »Man kann nie wissen«, erwiderte Annie. »Eine Cousine von mir hat einen Yankee-Jungen kennengelernt und sich in ihn verliebt. Sie ist nach Hause zurückgekommen und hat um Erlaubnis gebeten, ihn heiraten zu dürfen.«
    »Und was ist dann passiert?«, fragte ich. »Haben sie es ihr erlaubt?«
    »Nein«, antwortete Annie mit gedämpfter Stimme. »Sie wird gemieden.«
    Die sanfte Bewegung der Schaukel stoppte und ich hielt den Atem an. Die Luft fühlte sich immer ein wenig kälter an, wenn jemand von Meidung sprach. Ich kannte zwar niemanden persönlich, der gemieden wurde, aber wir hatten alle Geschichten darüber gehört, wie Namen aus Familienbibeln ausradiert oder Briefe ungeöffnet weggeworfen wurden. Kate senkte den Blick. Wahrscheinlich dachte sie an William. Er wurde nicht gemieden, weil er nie getauft worden war. Mit einer Meidung wurden nur erwachsene Gemeindemitglieder belegt, die das Taufversprechen gebrochen hatten. William hingegen war aus freien Stücken und auf eigenen Wunsch gegangen. Aber bestimmt fühlte es sich für Kate genauso an.
    »Ich kann immer noch nicht glauben, dass deine Eltern dich wirklich gehen lassen«, sagte sie und wechselte das Thema. »Meine lassen mich noch nicht mal Jeans tragen.«
    Im selben Moment stapften schwere Schritte die Treppe zur Veranda hinauf. Ich kniff die Augen gegen das grelle Sonnenlicht zusammen und erkannte Daniel, der auf die Verandaschaukel zukam. »Hallo, Mädels«, sagte

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