Draußen wartet die Welt
herzhaftem Lachen über geheimnisvolle Geschichten bis hin zu großen Romanzen führte, wenn ich durch die Kanäle schaltete. Das Klingeln des Telefons wiederum brachte Joshs oder Valeries Stimme direkt an mein Ohr.
An jenem Samstagabend gingen Josh und ich zum ersten Mal alleine aus. Als ich in meinem neuen Kleid die Tür öffnete, betrachtete er mich von oben bis unten. »Hast du das zusammen mit Valerie gekauft?«, fragte er. Ich nickte, aber er starrte mich immer noch an. »Dein Gesicht sieht irgendwie anders aus.« Seine Bemerkung wirkte nicht unfreundlich, aber sie klang auch nicht wie ein Kompliment.
Ein Gefühl der Wärme kroch meinen Nacken hinauf. »Valerie hat mir geholfen und mir gezeigt, wie man Make-up auflegt«, erwiderte ich. Josh schüttelte den Kopf. »Was?«, fragte ich und empfand dabei eine Mischung aus Verlegenheit und Trotz.
»Ich weiß nicht«, sagte er mit einem Schulterzucken. »Das brauchst du eigentlich alles gar nicht. Du bist auch hübsch, wenn du nicht dieses ganze Zeug im Gesicht hast.«
Mir wurde beinahe schwindelig, als ich sein Kompliment hörte, obwohl ich wusste, dass es nicht schmeichelhaft gemeint war.
Im Kino sahen wir uns diesmal einen düsteren Film über Teenager an, die Urlaub in einer Hütte machten und einer nach dem anderen spurlos verschwanden. Bei einigen Szenen blieb mir fast das Herz stehen, beispielsweise wenn irgendetwas Unerwartetes hinter einer Tür lauerte oder in einem Spiegel reflektiert wurde. Während einer dieser Szenen legte Josh seinen Arm um meine Schultern und ich fühlte mich in seiner Nähe sicher. Als der Film zu Ende war, verließen wir das Kino in Richtung Parkplatz. Draußen nahm Josh meine Hand. Es war eine ganz natürliche, beinahe beiläufige und entspannte Geste. Ich ließ meine Hand in seine gleiten, so als sei diese Vertrautheit mit einem englischen Jungen etwas völlig Alltägliches in meinem Leben.
Am folgenden Sonntag rief Valerie an und fragte mich, ob ich mit ihr zu einer Gedichtlesung gehen wolle. Sie nahm an einem Sommerkurs teil, um ihre Englischnote zu verbessern, und musste dafür auch diese Veranstaltung besuchen. »Also, kommst du mit?«, fragte sie. »Ich will wirklich nicht allein da hingehen.«
Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete, aber ich freute mich, dass Valerie mich eingeladen hatte. Sie holte mich nach dem Abendessen ab, und wir fuhren gemeinsam zu dem Buchladen, in dem die Lesung stattfand. »Wie ist der Sommerkurs so?«, wollte ich unterwegs im Auto wissen.
»Nichts Besonderes. Nur ein Kurs für kreatives Schreiben«, antwortete sie. »Meine Eltern meinten, ich müsste mir diesen Sommer entweder einen Job suchen oder einen Kurs belegen, also habe ich mich für die Schule entschieden.«
Im Buchladen führte Valerie mich ins Café, in dem ein Hocker und ein Mikrofon aufgebaut waren. Wir bestellten Kaffee und setzten uns an einen kleinen Tisch im hinteren Teil des Raums. Valerie holte ein rosa Notizbuch mit Blumenmuster auf dem Einband aus ihrer Handtasche und legte es vor sich auf den Tisch. Ich blickte mich um und sah, dass auch die meisten anderen Tische von Jugendlichen in unserem Alter besetzt waren, und genau wie Valerie waren sie bereit, sich Notizen zu machen.
Ich nippte an meinem Kaffee. Während der Schulzeit hatte ich ein paar Gedichte gelesen, aber ich wusste nicht viel darüber. Auf mich wirkten Gedichte immer wie gedrängte Geschichten, die auf das Allernötigste verkürzt waren.
In dem Moment trat eine Frau ans Mikrofon und begrüßte uns mit eleganter Stimme. »Das ist meine Lehrerin«, flüsterte Valerie. »Sie hat die Dichter zu dieser Lesung hier eingeladen und wollte ein Publikum, also hat sie es zu einem Pflichttermin für den Kurs gemacht.« Valerie verdrehte die Augen, aber ich bildete mir ein, einen Anflug von Ungeduld in ihrer Miene zu erkennen.
Die Lehrerin stellte die erste Dichterin vor, eine Frau mit olivfarbener Haut und glänzend schwarzem Haar. Sie warf einen Blick ins Publikum und holte tief Luft. Ihre Stimme hatte einen starken Akzent und hallte förmlich in dem kleinen Raum wider. Das Gedicht, das sie vorlas, erzählte von eingewanderten Arbeitern aus Mexiko, die sich über Zuckerschoten beugten, Weidenkörbe auf ihren Schultern schleppten und gegen die unbarmherzige Sonne anblinzelten. Die Worte klangen so fließend wie bei einem Lied und ihre Stimme schwankte zwischen Seelenqual und Zärtlichkeit. Als sie fertig war, senkte sie für einen Augenblick den Kopf, während
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