Draußen wartet die Welt
schaute in den Spiegel. Der Stoff war wunderbar weich und das Kleid fühlte sich sehr angenehm auf meiner Haut an. Ich öffnete die Tür der Umkleidekabine, um es Valerie zu zeigen. Sie nickte energisch, als sie mich sah. »Das musst du nehmen«, sagte sie. Es klang, als hätte ich keine andere Wahl.
Nachdem ich wieder in meine eigenen Kleider geschlüpft war, wartete ich, während Valerie mehrmals in der Umkleidekabine verschwand, kurz darauf wieder auftauchte und sich in jedem neuen Outfit vor den diversen Spiegeln hin und her drehte, um sich gleichzeitig aus verschiedenen Perspektiven sehen zu können. Hin und wieder fragte sie mich nach meiner Meinung, aber die meiste Zeit schien sie sich nur kritisch oder wohlwollend zu betrachten.
Als Valerie fertig war, stellten wir uns zusammen in die Schlange an der Kasse. Ich stellte einen Scheck für das Kleid aus und rechnete nach, wie viel Geld mir noch übrig blieb und wie wenig ich nur noch ausgeben konnte. Valerie hingegen hatte gerade erst angefangen. Ich trottete von einem Laden zum nächsten hinter ihr her und sah zu, wie sie Shorts, Oberteile und Kleider anprobierte. Ich staunte darüber, wie sicher sie sich in dem riesigen Einkaufszentrum zurechtfand und wie selbstbewusst sie die vielfältige Auswahl sondierte, die die unzähligen Läden boten. Jedes Mal, wenn wir ein Geschäft verließen und wieder in den riesigen Korridor des Einkaufszentrums traten, war ich aufs Neue überrascht, dass keine Sonnenstrahlen auf uns herabschienen und keine Windböe durch mein Haar wehte.
Während Valerie in einem weiteren Geschäft bezahlte und ich auf sie wartete, fiel mein Blick auf einige kleine, wunderbar bunte runde Scheiben, die unter der Glastheke an der Kasse lagen. Sie sahen aus, als stammten sie von der Farbpalette eines Malers. Ich blickte auf und sah, dass Valerie mich beobachtete. »Das ist Lidschatten«, erklärte sie und deutete auf ihre eigenen Augen, die mit zartem Blau bemalt waren. »Ich kenne einen Laden, in dem sie dir zeigen, wie man Make-up auflegt. Möchtest du da mal hingehen?«
Ich schaute wieder auf die Schminke hinunter, die unter dem Glas ausgestellt war. Auch die Mädchen in den Zeitschriften hatten immer geschminkte Lider, genau wie Jess und Caroline. Ich hatte noch nie darüber nachgedacht, meine Augen zu verschönern, aber mit einem Mal erschien mir das unbedingt nötig, und ich hatte das Gefühl, es keinen einzigen Tag mehr ohne aushalten zu können.
Als ich wieder zu Valerie hinaufsah, blickte sie mich amüsiert an. »Komm schon«, sagte sie. »Der Make-up-Kurs kostet nichts. Du musst nur für das bezahlen, was du kaufst. Das wird lustig.«
»Okay«, stimmte ich zu und war glücklich, als ich Valerie in den nächsten Laden folgte. Drinnen sah ich einen Gang neben dem anderen, alle mit Regalen mit unzähligen Tuben, Schachteln und winzigen Dosen mit Schminke gefüllt. Valerie führte mich zu einem Tresen, an dem wir uns auf hohe Hocker setzten. »Seid ihr wegen einer Demonstration hier?«, fragte eine ältere Frau, deren Wangen und Lider kräftig geschminkt waren.
»Für sie, für mich nicht«, antwortete Valerie. »Und wir fangen hier ganz bei null an. Sie hat noch nie Make-up getragen.« Ich holte tief Luft und die Aufregung des Neuen kribbelte in meinem ganzen Körper.
Die Frau sah mich mit demselben Blick an, mit dem mein Großvater ein landwirtschaftliches Gerät betrachtete, bevor er es kaufte. Sie öffnete und schloss mehrere Schubladen und breitete eine Ansammlung diverser Pinsel und winziger Farbtöpfchen vor mir auf dem Tresen aus. »Na gut«, sagte sie mit tiefer, rauer Stimme. »Dann wollen wir mal.«
Die nächste halbe Stunde lang fühlte ich das weiche Kitzeln der Pinselhaare auf meiner Haut und hörte zu, wie die Frau mir erklärte, wie ich die Farben für meine Lider, Lippen und Wangen aussuchen sollte. Sie zeigte mir verschiedene Techniken, um die Farbe so auf meiner Haut zu verteilen, dass es »natürlich« aussah, so als sei es völlig normal, blaue Lider oder pflaumenrote Lippen zu haben. Hin und wieder mischte sich auch Valerie ein, gab ihre Meinung zu einem bestimmten Farbton kund oder schlug eine andere Farbe vor, die ich ausprobieren sollte.
»Und, was meinst du?«, fragte die Frau und deutete auf den Spiegel. Ich starrte mein Spiegelbild an und war überrascht, dass mir ein elegantes junges Mädchen entgegenblickte. Meine Wangen waren rosa gefärbt, so als sei ich an einem windigen Tag an der frischen Luft
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