Draußen wartet die Welt
würde. Ich hatte ihm auch schon mehrere Briefe geschickt, in denen ich ihm berichtete, wie Musik aus schwarzen Kästen ertönte und Stimmen von einem Telefon zum anderen reisten.
Als ich nun den Stapel mit den Briefen durchblätterte, fiel mir ein Brief in der klaren, unverkennbaren Handschrift meiner Mutter mit den sorgfältig geschwungenen Bögen ins Auge. Es war ein eigenartiger Brief, knapp und auf das Wesentliche begrenzt, und sie weigerte sich darin hartnäckig, mir wenigstens ein paar persönliche Worte zu schreiben.
Liebe Eliza,
ich möchte, dass Du jemanden kennenlernst. Ihr Name ist Beth Winters. Sie wohnt in der Elm Street 367 in der Stadt Evanston. Ich glaube nicht, dass das weit von dort weg ist, wo Du jetzt wohnst, aber ich weiß nicht, wie Du dort hinkommen kannst. Das wirst Du selbst herausfinden müssen. Bitte schreibe mir nichts darüber, da Deine Briefe nicht nur von mir allein gelesen werden.
Alles Liebe,
Mutter
Sie machte sich noch nicht einmal die Mühe, mir zu schreiben, dass sie mich vermisste oder neugierig war, wie mein Leben hier aussah. Der Brief bestand nur aus dem Befehl, ich solle diese Fremde aufsuchen. Wie ich meine Mutter kannte, war Beth Winters vermutlich jemand, der mich davon überzeugen sollte, wieder nach Hause und in mein einfaches Leben zurückzukehren. Ich schob den Brief unter den restlichen Stapel und begann, an Kate zu schreiben. Ich hatte ihr bereits von meinem Shopping-Tag mit Valerie und den Filmen geschrieben, die ich mit Josh gesehen hatte.
In diesem Brief erzählte ich ihr, dass jeder Tag die Aussicht brachte, dass Josh vorbeikam, um Musik zu hören oder einen Film mit mir anzuschauen, und ich gestand ihr, wie sehr diese Aussicht meine Tage mit aufgeregter Vorfreude erfüllte. Ich schrieb ihr, wie zerzaust Josh immer aussah, nachdem er den Rasen gemäht hatte, und dass er nach einem warmen Frühlingsmorgen roch, wenn wir ganz dicht nebeneinandersaßen.
Nachdem ich den Umschlag zugeklebt hatte, ging ich nach unten, um einen Blick in den Kühlschrank zu werfen und das Abendessen für die Familie zu planen. Als es an der Tür klingelte, beeilte ich mich, sie zu öffnen, und freute mich, als ich Josh auf der Treppe stehen sah. »Ich bin früher fertig geworden«, sagte er. »Willst du vielleicht ’nen Eiskaffee mit mir trinken gehen?«
Ich sah auf die Uhr. Die Kinder würden erst in einer Stunde wieder zu Hause sein, also schlenderte ich gemeinsam mit Josh auf dem inzwischen vertrauten Weg in die Stadt. »Hast du heute irgendwelche Briefe bekommen?«, erkundigte er sich. Er hatte mir erklärt, dass richtige Briefe, die der Briefträger zustellte, inzwischen so etwas wie ein altmodisches Überbleibsel aus früheren Zeiten waren – »Schneckenpost«, wie er sie nannte. Aber in seinem Tonfall lag etwas Wehmütiges. Er schien fast neidisch darauf zu sein, dass ich täglich handschriftliche Nachrichten erhielt.
»Heute nur zwei«, erwiderte ich. »Von meiner Großmutter und von meiner Freundin Mary.«
»Hast du irgendjemand von mir erzählt?«, fragte Josh, während er die Tür des Cafés öffnete.
Ich hob meine Augenbrauen. »Warum sollte ich ihnen von dir erzählen?« Es gefiel mir, dass meine Stimme gleichzeitig listig und unschuldig klang. Ich gestand ihm jedoch nicht, dass ich Kate in dem Brief, den ich gerade in den Briefkasten geworfen hatte, geschrieben hatte, dass sich meine Zeit mit Josh immer mehr so anfühlte, als würden wir miteinander gehen.
Ich rührte Zucker in meinen Eiskaffee und trank einen tiefen Schluck. »Hör zu«, sagte Josh. »Ich muss morgen nicht arbeiten. Wenn ich verspreche, dass ich dich wieder zurückbringe, bevor die Kinder aus dem Ferienlager nach Hause kommen, können wir dann tagsüber zusammen ausgehen?«
Ich blickte auf. »Wohin?«
»Ich dachte, wir fahren mit dem Zug in die Innenstadt. Es ist allmählich Zeit, dass du die Stadt kennenlernst.«
»Ja«, erwiderte ich und freute mich schon darauf. »Solange Rachel nichts dagegen hat.«
»Cool«, sagte er und wirkte erfreut. »Weißt du, was?« Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schaute mich an, als seien wir einander gerade erst vorgestellt worden. »Ich habe mich eigentlich nicht besonders auf diesen Sommer gefreut. Zwei Jobs, Rasen mähen, Geld ansparen. Aber inzwischen entwickelt er sich ziemlich gut.«
Ich lächelte. »Ja«, bestätigte ich, »meiner auch.«
Kapitel 19
Die Innenstadt oder »Downtown«, wie sie es nannten, roch nach Dreck, Metall und
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