Dray Prescot 02-Die Sonnen von Scorpio
Gegner durchsichtig zu machen. Wir erahnten seinen Angriff, die Richtung seines Hiebes, die Bewegung seines Stichs – durch einen intuitiven Prozeß, der die Vernunft überstieg, der wie an einen sechsten Sinn gekoppelt war. Wir vermochten eine Parade zu unterlaufen, noch ehe ein Gegner seine Bewegung zu Ende gedacht hatte.
Schon als junger Seemann an Bord eines 74-Kanonen-Schiffes war ich als guter Fechter bekannt gewesen, und ich habe wiederholt von der Notwendigkeit körperlicher Wendigkeit gesprochen, die mir gleich zu Anfang zupasse kam, als es darum ging, auf Kregen zu überleben. Seither bin ich in zahlreichen Situationen gewesen, in denen ein guter Umgang mit dem Schwert lebenswichtig war. Ich gestehe jedoch offen ein, daß ich bei den Ordensbrüdern von Zy eine Geschicklichkeit mit dem Schwert errang, die mich zu einem ganz neuen Schwertkämpfer machte.
Atemtechnik, Isometrie, anstrengende Körperertüchtigung ständige Übung, Kontemplation, stundenlange Konzentration auf den Willen – dadurch wurde ein einziges schlagkräftiges Instrument aus Willen und Waffe geformt, durch das sich ein Mann selbst erkennen und seinen Feind durchsichtig machen konnte, seinen Gegner, den er zu überlisten und auszumanövrieren und schließlich zu besiegen vermochte –, all dies füllte meine Tage in dem Jahr, das ich auf Zy, der Inselfestung der Krozairs, verbrachte.
Von der mystischen Seite meines Aufenthalts will ich an dieser Stelle nicht sprechen.
Schließlich kam der Tag, da mich der Erste Abt durch die letzten Zeremonien führte, und geläutert wurde ich zum Krozair erklärt und für würdig befunden, die Silbe ›Pur‹ vor meinem Namen zu führen.
»Und jetzt, Pur Dray, wofür wirst du dich entscheiden?«
Ich nehme an, sie wußten, wie meine Entscheidung aussehen würde. Der Orden unterhielt seine eigene kleine Galeerenflotte, und ich war entschlossen, das Kommando des besten Schiffes anzustreben. Das kostete natürlich Zeit. Inzwischen gedachte ich nach Felteraz zurückzukehren, um unter Zenkiren, der inzwischen Kommodore der Königlichen Flotte geworden war, schneller zu einem Kommando zu kommen. Und ich wollte mein früheres Leben wieder aufnehmen, denn ich gedachte Felteraz nicht zu verlieren.
Meine Entscheidung wurde auch durch den Gedanken an die Herren der Sterne und die Savanti bestimmt. Ich wußte, daß sie noch Pläne mit mir hatten, daß sie mich manipulieren würden, wie es in ihre Absichten paßte. Und – meine Delia aus den Blauen Bergen! Würde ich sie vergessen können?
»Ich habe nach der Zorg schicken lassen«, sagte Zenkiren zu mir, als wir auf einem Aussichtspunkt an einem der Steilhänge der Insel standen. Eine Überraschung.
»Zenkiren, es hat mir viel bedeutet zu wissen, daß Zorg hier war, in diesen Sälen, Kapellen und Waffenkammern. Manchmal kommt es mir vor, als spürte ich seine Gegenwart, wenn wir die gleichen Dinge tun, die auch er getan hat.«
»Und die von vielen Männern nach uns getan werden – nach der überlieferten Tradition.«
Als die Zorg eintraf und unter dem mächtigen Felsenbogen verschwand, der zu dem Naturhafen unter der Insel führte, war ich bereit. Ich legte meine weiße Tunika mit dem runden Zeichen von Felteraz an. Ich sah Nath und Zolta am Bug stehen, bereit, im richtigen Augenblick an Land zu springen. Nath sprang fast zu früh und wäre ins Wasser gefallen, wenn ich nicht zugegriffen hätte.
Grinsend und grimassenschneidend begrüßten sie mich, versetzten mir leichte Schläge, um zu sehen, ob ich nicht verweichlicht wäre. Für sie war die Tatsache, daß ich nun Krozair war und einen weiteren Titel führte, lächerlicher Unsinn – und darin war ich ihrer Meinung.
»Schreiber!« riefen sie, und wir umarmten uns.
Zenkiren stand mit verschränkten Armen abseits und rieb sich das Kinn. Der Erste Abt Pur Zazz stieß einen Laut aus, der ein Räuspern sein mochte. Unsere Gruppe umfaßte fünf weitere neue Krozairs, die ebenfalls mit der Zorg zurückfahren sollten, die nun unter dem Kommando von Sharntaz stand. Auch sie wußten nicht so recht, was sie von den beiden bärtigen Seeleuten halten sollten, die in die nüchterne Enklave Zys einfielen.
Aber die alles durchdringende äußere Würde und das Geheimnis der Insel fielen schließlich auch Nath und Zolta auf, die darauf schnell ruhiger wurden.
Als die Zeit unserer Abreise gekommen war, sagte mir Zenkiren, er würde noch eine Weile auf Zy bleiben.
»Pur Zazz ist alt. Im Rat sind viele wichtige
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