Dray Prescot 05-Der Prinz von Scorpio
»Wir hassen diese Boote – die eine begünstigte Konkurrenz sind. Und die armen Teufel, die auf die Kanalbarken des Herrschers geschickt werden – also, halte dich von denen fern. Sie haben absoluten Vorrang auf allen Wasserstraßen. Sie verdrängen uns aus der Mitte und zwingen uns, die Leinen fallen zu lassen – und dann fahren sie vorbei!«
Ich wußte, was er meinte. Ich konnte mir den Kummer der Sklaven vorstellen, die ihre unförmigen Barken an den schmalen, eleganten Booten der Kanalschiffer vorbeizogen und dabei unter der Peitsche litten.
»Mir gefällt das alles nicht, Ven Yelker.«
»Mir auch nicht. Ven Drak, aber wir beide können nichts dagegen tun. Und hier kommt Mutter.« Ich stand auf und hielt meine Decke fest, als Sosie in die Kabine trat, eine rundliche, lächelnde, braunäugige Frau. Ich erkannte sofort, daß sie Yelker sicher im Griff hatte, und fragte mich unwillkürlich, wo er seinen Schnaps versteckte.
»Du hast sicher Hunger, junger Mann«, sagte sie, und die Schärfe ihrer Stimme brachte mich zum Lächeln – sogar mich, Dray Prescot, der ich wahrhaft selten lächle –, denn ich spürte die menschliche Wärme an Bord dieses schmalen Boots. Andere Familienmitglieder wurden mir vorgestellt. Es waren insgesamt zehn, nicht alles Verwandte, sondern auch Mannschaftsmitglieder aus anderen Familien und von anderen Booten. Oft wurde ein Boot von zwei oder drei Familien betrieben. Wichtig war vor allem, daß man in Bewegung blieb. Nachdem die Anfangsträgheit des Boots überwunden war und es ruhig durch das Wasser glitt, genügten zwei oder drei Personen, um die Geschwindigkeit zu halten. Natürlich schaltete auch ich mich in den Dienst an den Leinen ein. In den Schleusen hatten alle zu tun – schwitzend brachten wir die Boote in die richtige Position, bis endlich die Tanzender Talu weiterfahren konnte. Zuletzt eilte der junge Wil los, um die Schleusentore zu schließen, hastete über den Treidelpfad zurück und sprang mit mächtigen Satz an Deck.
Wir fuhren nach Süden, folgten dem Vomansoir-Kanal und näherten uns Vondium. Ich kannte einen Mann aus Vomansoir, einen Chuktar, Lord Farris. Ich hatte ihn an Bord des vallianischen Luftboots Lorenztone kennengelernt. Aber ich gedachte den Mann nicht aufzusuchen. Er kannte mich als Dray Prescot, Lord von Strombor, als den Mann, der die Hand der Prinzessin Majestrix erringen wollte.
Ich mußte erheblich näher bei Delia sein als Vomansoir, ehe ich meine wahre Identität enthüllte.
Vallia ist von Kanälen durchzogen, auf denen lebhafter Verkehr herrscht. Die jeweiligen Gemeinden sind mit persönlicher Genehmigung des Herrschers für die Erhaltung der Anlagen verantwortlich, und sie haben an vielen Kanalkreuzungen Verkehrskontrollen errichtet.
Die Schleusen funktionierten bestens, ohne zuviel Wasser zu verlieren. Das Wetter blieb gut. Ich arbeitete an den Zugleinen bediente die Schleusen, machte Botengänge, und immer weiter ging die Fahrt nach Süden, immer näher kam ich meiner Delia. Trotzdem nahm meine innere Ruhe zu. Ich hatte die Wirkung der Kanäle unterschätzt, wie ich jetzt erkannte. Auch fiel mir das starke Zusammengehörigkeitsgefühl der Kanalschiffer auf, und als ich nun ihre Sprache und ihre Fachausdrücke erfaßte – durch Masperos genetisch programmierte Sprachpille ging das leichter –, wurde mir allmählich klar, daß sich diese Menschen nicht nur für anders hielten als die gewöhnlichen Vallianer, sondern auch für was besseres. Und da mochte ich ihnen nicht widersprechen. Je weiter wir nach Süden kamen, desto wärmer wurde es, desto mehr verblaßte die Erinnerung an die grausam kalten Berge des Nordens. In sanften Windungen zieht sich der Große Fluß mitten durch Vallia, die Mutter aller Gewässer, der Fluß der Fruchtbarkeit, der sich bei Vondium in das Sonnenuntergangsmeer ergießt. Die weiten Flußbiegungen machen sich zuweilen Kanäle zunutze, doch meistens werden die Schiffahrtswege unabhängig von den Flußschleifen durch das Land gegraben. Einmal überquerten wir den Großen Fluß auf einem langen Aquädukt.
Wir kamen zwischen flachen Hügeln hindurch und fuhren an baumbestandenen Ufern entlang, denen das Wasser einen seltsamen Spiegeleffekt gab, so daß man fast das Gefühl hatte, in der Luft zu schweben. Von Zeit zu Zeit veränderte das Wasser die Farbe, wenn Mineralien aus den Bergen in den Kanal gewaschen wurden – doch meistens reflektierte es nur Himmel und Wolken überhängende Bäume, Gräser, Wildblumen
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