Dread Empire's Fall 02 - Sternendämmerung
indem er nichts geschnitten hatte.
Die kluge Sula, dachte Martinez.
Er schob die Mail in seine private Ablage und dachte unterdessen über die Zensur nach. Es hatte sie schon immer gegeben, und er hatte nie groß darüber nachgedacht, es sei denn, sie hatte ihn Zeit gekostet, wenn es seine Aufgabe war, die Post der Matschmänner zu kontrollieren.
Die offizielle Zensur hatte er immer als eine Art Spiel zwischen den Zensoren und sich selbst betrachtet. Sie versuchten, etwas zu unterdrücken, und er versuchte, zwischen den Zeilen zu lesen, um herauszufinden, was wirklich geschehen war. Aus einer Ermahnung, bei öffentlichen Arbeiten nicht zu ermüden, konnte man schließen, dass ein wichtiges Bauprojekt hinter dem Zeitplan war. Wenn in den Nachrichten ein neuer Rettungsdienst gepriesen wurde, hatte sich eine Katastrophe ereignet, bei dem er zum Einsatz gekommen war, wobei der Vorfall den Verantwortlichen jedoch zu peinlich war, um ihn öffentlich einzuräumen. Wenn in einem Artikel verschiedene Minister gelobt wurden, konnte man eine verdeckte Schuldzuweisung an diejenigen erkennen, die unerwähnt blieben, und eine Kritik an einem jungen Minister konnte in Wahrheit ein Angriff auf seinen älteren Gönner sein.
Mittlerweile war Martinez ein Experte darin, zwischen den Zeilen zu lesen. Im Gegensatz zu Sula hatte er allerdings nie geglaubt, dass die Zensur einen Sinn hatte – dazu schien sie ihm mitunter viel zu willkürlich zuzuschlagen. Was herausgeschnitten wurde oder erhalten blieb, war nicht vorherzusehen und völlig unberechenbar. Manchmal fragte er sich, ob sich die Zensoren einen Spaß daraus machten, jeden Satz mit einem unregelmäßigen Verb zu zensieren oder jede Meldung zu überarbeiten, in der das Wort »Sonne« vorkam.
Sulas Ansicht, die Zensur diene dazu, gewissen Leuten ein Monopol auf die Wahrheit zu verschaffen, war ihm neu. Doch wer waren diese Leute? Er kannte niemanden, der nicht mit der Zensur zu tun hatte – im Stab von Flottenkommandeur Enderby hatte er herausgefunden, dass sogar dessen öffentliche Verlautbarungen von den Zensoren überwacht wurden.
Möglicherweise wusste niemand, was tatsächlich geschah. Das fand Martinez noch erschreckender als Sulas Theorie, es gäbe eine Verschwörung irgendeiner Elite.
Es wäre beispielsweise schwer gewesen, die Unterhaltung, die er am vergangenen Tag mit Dalkieth geführt hatte, mit irgendeiner Verschwörungstheorie in Einklang zu bringen. Sie hatten sich beim Frühstück über alltägliche Fragen des Dienstes auf dem Schiff unterhalten, und schließlich, beim Kaffee, hatte sie ihn verlegen angeschaut, als wüsste sie nicht recht, wo sie beginnen sollte. »Sie wissen doch, dass ich die Post der anderen Leutnants zensiere«, hatte sie schließlich gesagt.
Die Zensur wurde wie alle Aufgaben, die niemand gern übernahm, gern nach unten weitergereicht. Die frischgebackenen Kadetten zensierten die Post der Rekruten, der jüngste Leutnant überwachte die Kadetten, und Dalkieth kontrollierte die beiden ihr nachgeordneten Leutnants. Martinez hatte mit alledem nichts zu tun und musste sich nur um Dalkieths Post kümmern. Eine leichte Aufgabe, da ihre Mitteilungen ausnahmslos aus langweiligen, aber herzlichen Grüßen an ihre Angehörigen auf Zarafan bestanden.
»Ja?«, antwortete Martinez. »Gibt es ein Problem damit?«
»Eigentlich kein Problem.« Dalkieth machte eine verlegene Miene. »Sie wissen doch, dass Vonderheydte auf Zanshaa eine Freundin hat. Sie heißt Lady Mary.«
»Wirklich? Nein, das wusste ich nicht.« Auch den Namen der Dame hielt er nicht für sonderlich wichtig.
»Vonderheydte und Lady Mary tauschen Videos aus, die von einer gewissen …« Sie zögerte. »Es sind recht freizügige Aufnahmen. Sie reden über Fantasien und, äh, führen sie einander vor der Kamera vor.«
Martinez griff nach seiner Kaffeetasse. »Ist Ihnen so etwas noch nicht begegnet?«, fragte er. »Das überrascht mich.« Als er, noch ein junger Kadett, zum ersten Mal an Bord eines Schiffes Dienst getan hatte, war er zunächst über den Einfallsreichtum und die Verruchtheit der Lochspringer überrascht gewesen, deren Post er überwacht hatte. Am Ende des zweiten Monats seines unfreiwilligen Kurses in menschlichen Gelüsten war er zynisch und abgebrüht gewesen, hatte sich in eine wandelnde Enzyklopädie menschlicher Begierden verwandelt und sich auch durch die ausgesuchtesten Perversionen nicht mehr erschüttern lassen.
»Nein, darum geht es nicht«, sagte Dalkieth.
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