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Dreck: Roman (German Edition)

Dreck: Roman (German Edition)

Titel: Dreck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
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sagte seine Großmutter.
    Entschuldigung.
    Fahren wir heute zurück?, fragte seine Großmutter. Sie sah auf einmal besorgt aus.
    Nein, Mom, sagte Galens Mutter. Wir sind gerade erst angekommen. Wir haben viel Zeit.
    Ach, sagte sie und setzte sich wieder zurück. Ich finde es furchtbar, wenn ich mich nicht erinnern kann.
    Galen ging rein und stolperte über das Ausziehbett. Könnt ihr nicht bis zum Abend warten mit dem Bett?, brüllte er.
    Du verwöhnter kleiner Scheißer, brüllte seine Tante zurück.
    Helen. Dies kam im Chor von seiner Mutter und Großmutter.
    Galen stieg über das Bett. Im Bad stellte er den Boiler an, machte die Tür zu, ließ sich dagegensinken und wurde auf einmal furchtbar traurig. Er hatte sich noch nie mit seiner Tante gestritten, im ganzen Leben nicht. Seine schönsten Kindheitserinnerungen hatten mit ihr zu tun. Ein aufblasbares Schwimmbassin auf dem großelterlichen Rasen, sie rannte drumherum und zog ihn an den Armen, sodass ein Whirlpool daraus wurde. Ihr Lachen damals immer großherzig und echt. Er wusste nicht, was passiert war. Irgendein Ausrutscher, irgendwas, das in den vergangenen Tagen schiefgelaufen war, sich verschoben hatte. Sie hatte schon immer ihre Sprüche gemacht, aber er hatte sie für Scherze gehalten.
    Galen begriff nicht, wie Leben sich eigentlich überlappen sollten. Er hatte all diese Menschen in seine Inkarnation geholt, damit er von jedem eine bestimmte Lektion lernte. Aber wenn seine Tante auch einen Geist oder eine Seele hatte, dann musste sie ihre eigenen Lektionen lernen, und wie passte das alles zusammen? Wie ließ sich das koordinieren?
    Vielleicht konnte ein Mensch angehalten werden, wie ein Standbild. Seine Tante verharrte im Zorn über ihre Kindheit. Ihr war nicht klar, dass Erinnerung bloß eine Illusion war. Vielleicht blieb man für immer stecken, wenn man sich einer bestimmten Lektion verweigerte. Aber sie hatte früher nicht zornig gewirkt. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass Jennifer herangewachsen war. Vielleicht lag es daran. Jetzt kämpfte sie für Jennifer. In seinen frühesten Erinnerungen an seine Tante kam Jennifer nicht vor.
    Galens T-Shirt und Shorts waren feucht. Er hatte am Bach kein Handtuch mitgehabt. Seine Haut hubbelig vor Gänsehaut. Er zitterte.
    Seine Großmutter mit ihrem nachlassenden Gedächtnis war eindeutig steckengeblieben. Genehmigte sich eine Auszeit. Aber von welchem Spiel eigentlich, das war die große Frage. Warum versuchten alle, Lektionen zu lernen? Galen wusste, dass es darum ging, sich am Ende aller Bindungen entledigt zu haben, aber wozu gab es dann überhaupt Bindungen?
    Zwanzig Minuten waren eine lange Zeit. Er zog sein feuchtes T-Shirt und die Shorts aus, nahm sich ein trockenes Handtuch und rubbelte sich damit ab, um durch die Reibung Wärme zu erzeugen. Die Zimmerdecke senkte sich, lange Balken, die in der Mitte durchhingen, eine einzige nackte Glühbirne als Lichtquelle. Ein Anbau, nicht Teil der ursprünglichen Hütte, offensichtlich hatte man früher kein Bad gebraucht. Vielleicht hatte man sich einfach im Bach gewaschen. In der Vergangenheit waren die Menschen widerstandsfähiger gewesen. Wobei es die Vergangenheit natürlich gar nicht gab. Geschichte, noch so eine Illusion. Sie ist nur das, was wir in der Gegenwart daraus machen.
    Galen prüfte mehrmals das Wasser, und endlich war es so heiß, dass er sich ein Bad einlassen konnte. Er saß beim Einlaufen in der Wanne, in der köstlichsten Hitze. Es konnte natürlich sein, dass er der einzig echte Mensch hier war, der Einzige mit Geist oder Seele. Vielleicht lebte jede Seele in einem Spiegelland, in dem sonst keiner war.
    Galen döste in der Wanne, schläfrig vor Hitze, doch dann hämmerte Jennifer an die Tür. Ich bin als Nächste dran, sagte sie. Beeil dich. Ich will noch vor dem Essen baden.
    Galen stand auf und trocknete sich ab, sah sich mit den Beinen vor, denn die waren wieder heiß und rot, und ging mit dem Handtuch um die Hüften hinaus.
    Ich kann deine Rippen sehen, sagte Jennifer. Sogar auf dem Rücken. Das ist eklig.
    Der Körper ist nur eine Hülle, sagte Galen. Er ist egal.
    Abwarten, sagte Jennifer. Sie hatte ihr Haar hochgesteckt und bereits ein Handtuch umgeschlungen.
    Beim Hinaufgehen fragte sich Galen, was das heißen sollte. Tante, Mutter und Großmutter saßen noch auf der Terrasse. Sie hatten noch nicht mit dem Kochen angefangen, es würde also noch eine Weile dauern. Er legte sich unter die Decke und nahm den Hustler aus seinem

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