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Dreck: Roman (German Edition)

Dreck: Roman (German Edition)

Titel: Dreck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vann
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noch viel ärger, obwohl er es nicht spürte.
    Also stand er auf, drehte den Wasserhahn zu und ging zur nächsten Furche, zur lockeren Erde, um sich große Hände voll davon über den Kopf zu häufen und mit der Erde zu duschen, solange er nass war, solange es kleben blieb und ihn bedecken und schützen würde.
    Wasser, hörte er seine Mutter flüstern. Sie war ganz nah. Sie war nah, gerade mal einen Meter entfernt hinter der Wand. Beäugte ihn wahrscheinlich durch die Ritzen, aber er konnte sie nicht sehen.
    Kein Wasser, sagte er. Kein Wasser. Meinst du, Helen schlägt Jennifer wirklich? Meinst du, sie boxt sie oder tritt sie oder so was?
    Das würde sie nie tun.
    Schon gut. Ich vergaß, mit wem ich hier rede, der großen Leugnerin vor dem Herrn. Nichts ist jemals geschehen.
    Meine Schwester würde ihre Tochter nie schlagen.
    Ja ja, sagte er. Deine Stimme klingt ein bisschen trocken. Er stapfte zur anderen Seite, zu Hammer und einem weiteren Brett. Er würde diese Aufgabe zu Ende bringen. Vor lauter Hunger fühlte er sich wie zerbrochen, selbst die Rippen und das Rückgrat hatten Hunger, aber auf Essen konnte man ziemlich lange verzichten. Das wusste er aus Erfahrung. Seine Form der Leugnung. Essen war überhaupt nicht wichtig. Er konnte wochenlang darauf verzichten, wenn er wollte. Nur die ersten paar Tage waren schwierig. Der Hunger war nicht wirklich. Er war trügerisch.
    Galen wusste gar nicht, wieso er eigentlich aufgehört hatte zu essen. Er verstand nicht, womit das angefangen hatte. Die Entscheidung, ob er Orangensaft trinken sollte oder nicht. Vielleicht damit. Aber wer kann schon den Anfang von irgendetwas bestimmen, es hat doch alles vorher begonnen, in früheren Leben. Nichts zu essen war eine Möglichkeit, diese Existenz zu durchbrechen.
    Das Klavier, flüsterte seine Mutter hinter der Wand.
    Galen legte ein neues Brett an und schlug einen Nagel ein.
    Das Klavier, flüsterte sie wieder.
    Er hämmerte heftig auf den Nagel, verbog ihn, fluchte, setzte einen weiteren an, klopfte behutsam. Seine kaputte Hand fühlte sich doppelt so groß an wie die andere. Praktisch unmöglich, mit ihr irgendetwas Kleines wie einen Nagel zu halten. Das gehörte zu den Widrigkeiten einer körperlichen Existenz. Der Körper wuchs und schrumpfte stetig, immer unerhört, das ließ sich nicht kontrollieren.
    Das Klavier, flüsterte sie.
    Was? Das ist so verdammt nervig. Was ist mit dem Klavier?
    Das Scheckbuch ist im Klavier.
    Scheiße. Vor wem hast du das versteckt? Ich wusste nicht mal, dass es eins gibt.
    Bring es her. Bald kann ich nicht mehr sprechen. Ich muss jetzt unterschreiben.
    Nein. Ich habe zu tun. Er hämmerte und setzte Nägel an und hämmerte. Schmorend und schwitzend und überall Schmerz, in der Hand, im Bauch, auf den Fußsohlen und der Haut auf Rücken und Nacken, und im Kopf der Schwindel. Alles an dieser Existenz war mit Schmerz verbunden. Er hatte es satt.
    Galen ließ den Hammer auf die Erde fallen und ging über den Rasen ins Haus. Er war entschlossen gewesen, nicht mehr hineinzugehen, einfach in der Plantage zu leben, aber hier war er schon wieder. Kein Vorsatz währte.
    Das Haus innen zu behaglich, kühl und dunkel und mit Schlaf lockend. Er war sehr müde. Er wollte sich hinlegen und alles vergessen. Das war die Macht des Hauses, deshalb war es gefährlich. Dem Haus musste man widerstehen.
    Er ging zum Flügel und wartete, bis sich die Augen ans Dämmerlicht gewöhnt hatten. Die Kanten schwebten und schwankten, die Holzkonturen wurden bei jedem Blinzeln weiß. Bloß eine dunkle Gestalt im Schatten, doch nach und nach erkannte er Farben, das tiefe Rot und die Maserung des dunklen Holzes, und der Flügel nahm seinen Platz ein, hörte auf zu schwimmen und zu schwanken.
    Seine Großmutter am Flügel. Wieso konnte er sich daran nicht erinnern? Wenn sie als Familie tatsächlich gemeinsam gesungen hatten, wenn sie auf diesem Flügel gespielt hatte, warum hatte sie dann aufgehört? Wieso hörte in diesem Leben alles auf, bevor seine Erinnerungeinsetzte? Wenn er sich mit dieser Zeit verbinden sollte, wieso wurde ihm dann jegliche Verbindung vorenthalten?
    Er hob den Deckel an, ein großes, flaches, glänzendes Stück Holz an einem Scharnier, und irgendwie wusste er, dass das Holzstück drinnen als Stütze diente. Er wusste nicht, woher er es wusste, irgendein physischer Abdruck ohne begleitende Erinnerung. Vielleicht waren die meisten Erinnerungen so, nicht mehr zugänglich, aber noch immer irgendwo, und

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