Drei Eichen (German Edition)
dem Daumen über den Rücken in Richtung des Bräutigams. Siebenstädter putzte sich die Hände an seinem weißen Kittel ab und schaute auffordernd zu Lagerfeld.
»Sie wollen … Sie wollen … An den Haken? Aber warum denn, um Gottes willen? Was haben Sie vor?« Das würde er nicht wagen, dachte er entsetzt, nicht einmal Siebenstädter war zu so etwas Unmenschlichem fähig.
»Aber natürlich.« Der Professor nickte bekräftigend. »Wir müssen doch herausfinden, welche Spannung der Bogen hatte, mit dem der Pfeil auf ihn abgeschossen wurde. Und das geht nur im tatsächlichen Experiment, sozusagen unter naturnahen Bedingungen. Jetzt stellen Sie sich nicht so an, Sie weiches Ei, Ihre Rehe können Sie später noch streicheln.«
Angewidert und widerwillig folgte Lagerfeld dem Professor an den Leichentisch, auf dem der verstorbene Josef Simon von einem Tuch bedeckt ruhte. Doch Siebenstädter kümmerte sich nicht um ihn, sondern deutete auf das, was die ganze Zeit eine Etage tiefer gelegen hatte. Als Lagerfeld die Absicht des Professors kapierte, atmete er erleichtert durch.
»Die hab ich mir extra aus dem Nürnberger Schlachthof anliefern lassen«, sagte Siebenstädter stolz, als sie schließlich gemeinsam die Schweinehälfte mit einem aufgeschlitzten Hinterbein an den großen Eisenhaken gehängt hatten. Er griff sich seinen Bogen und drehte an einigen Schrauben. Schließlich setzte er sich seine Federn wieder auf den Kopf und zielte aus circa zehn Metern auf die kopfüber hängende frische Schweinehälfte. Mit einem feinen Sirren verabschiedete sich der Pfeil von der Sehne, um dann mit einem schmatzenden Geräusch im Hinterteil des Schlachtviehs stecken zu bleiben. Siebenstädter ging zur halben Sau, untersuchte mit leisem Murmeln die getroffene Stelle und notierte etwas auf einem Zettel. Dann drehte er wieder an seinem Bogen, Lagerfelds Anwesenheit hatte er offensichtlich bereits vergessen.
Ein ganz hervorragender Moment, um sich zu verdrücken, dachte sich der junge Kommissar. Er drehte sich um und eilte nach draußen, um den gedemütigten Huppendorfer einzusammeln. Sie würden einiges zu erzählen haben, wenn sie wieder in der Dienststelle waren – in vielerlei Hinsicht.
Haderlein klingelte noch einmal, aber niemand öffnete. »Groh« stand auf dem Namensschild an der Tür, aber das Haus war augenscheinlich im Moment unbewohnt. Kein Wunder, die arbeitende Bevölkerung war in den Pfingstferien in der Regel mit Urlaub beschäftigt. Nur masochistische Spinner wie etwa Kriminalbeamte mussten von früh bis spät in den Ferien arbeiten. Er holte sein nagelneues Diensthandy heraus und wählte sicherheitshalber die Nummer der Familie Groh. Er hörte es im Innern des Hauses klingeln, aber es meldete sich nur der Anrufbeantworter.
»Hier ist der Anschluss von Franziska und Felix Groh«, sagte eine Männerstimme. Die Worte hörten sich an, als wäre das ein kinderloses Ehepaar, dachte sich Haderlein und legte wieder auf.
Er notierte sich die Uhrzeit seines Besuches und verließ die Kleberstraße in Bamberg genauso schlau, wie er gekommen war. In seinem Mitsubishi fuhr er das enge Sträßchen entlang in Richtung Markusplatz. Hoffentlich kam jetzt kein Gegenverkehr, sonst würde selbst er als professioneller Rückwärtsfahrer seine Grenzen aufgezeigt bekommen. Er betete, dass die im Stadtrat mal auf die Idee kommen würden, aus diesem Nadelöhr eine Einbahnstraße oder Fußgängerzone zu machen, doch die verkehrstechnische Einfalt von CSU -Bürgermeistern kannte er schon aus Oberbayern zur Genüge. Er würde sich auf diesen innerstädtischen Ring in Bamberg wohl einfach einstellen müssen – oder Fahrrad fahren. Zynisch lächelnd steuerte er auf seine Dienststelle zu.
Immer wieder gingen seine Gedanken zu dem Mädchen zurück, das niemand vermisste. Es gab schon wirklich tragische Fälle, was Kinder anbelangte. Manche Eltern hatten diese Bezeichnung wirklich nicht verdient, anderen gehörte das Gebären prinzipiell verboten. Und das quer durch alle Bevölkerungsschichten, da hatte er schon die übelsten Sachen erlebt. Bei dem Anblick des Mädchens hatte er dessen tief sitzende Angst verspürt. Ob diese Angst etwas damit zu tun hatte, dass es nicht redete, konnte er beim besten Willen nicht sagen, aber es war gut, dass die Landschaftsarchitektin sich der Kleinen angenommen hatte. Ein eher seltener Fall von Pflichtbewusstsein und Hilfsbereitschaft.
Morgen würde er etwas unternehmen, wenn sich bis dahin die Eltern nicht
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