Drei Eichen (German Edition)
weit über achtzig Prozent, die sich abzeichnete, ließ ihn etwas Optimismus verbreiten. Er legte die rechte Hand auf die Klinke der Eingangstür der Villa, als er stutzte. Direkt vor seinem Gesicht baumelte etwas an einer Paketschnur. Ein kleines Stück rötlichen Sandsteins. Er drehte sich um und zeigte Grosch den Stein, der sofort einen Schritt zurücktrat und sich hektisch umschaute. Irgendwer trieb doch da ein Spielchen mit ihnen. Am liebsten hätte er die Schnur heruntergerissen, doch er beherrschte sich und ließ den kleinen Stein einfach hängen. Vielleicht war es besser, sich nichts anmerken zu lassen.
Irrlinger schaute ihn fragend an. »Nervös, Werner? Immer ruhig bleiben, auch im Moment der größten Unsicherheit«, sagte er gelassen. Er riss den Stein mitsamt seiner Schnur von der Tür und warf alles ins nächste Gebüsch. »Siehst du, so löst man das.« Er öffnete die Tür und ging geradeaus die Treppe hinauf, Werner Grosch folgte ihm wie immer. Schon auf den ersten Stufen konnten sie hören, dass sich alle im ersten Stock im Chargiertenzimmer befanden.
Irrlinger begrüßte die Versammelten freundlich. »Jetzt bleibt uns nur zu warten und die Daumen zu drücken«, sagte er lächelnd. »Ich wünsche uns allen viel Glück und bis dahin einen entspannten Abend.« Applaus brandete auf, dann wurden die sonoren Diskussionen wieder aufgenommen.
Irrlinger winkte Rene Amann zu sich und gab ihm sein Handy. »Pass bitte heute Abend darauf auf. Wenn irgendwer Wichtiges anruft oder eine Nachricht schickt, dann holst du mich. Ansonsten möchte ich nicht gestört werden, verstanden?«
Rene Amann nickte, nahm Irrlingers Handy wortlos an sich und ging zu Werner Grosch hinüber, der mit einem Sekt in der Hand in Überlegungen vertieft zu sein schien. Der Fuxmajor der Rhenania Bavaria zog Grosch unauffällig auf die Seite.
»Treffen in fünf Minuten im Paukraum«, flüsterte er leise.
Grosch sah ihn erstaunt an. »Was? Wieso denn? Ich dachte, wir warten erst einmal die Wahl ab? So war doch die Absprache, oder etwa nicht?«
Amann schüttelte energisch den Kopf. »Schurig ist heute Nachmittag in seiner Scheune umgebracht worden. Mit einem Pfeil.« Es bedurfte keiner weiteren Erläuterungen. Grosch nickte, sah sich unauffällig um, nahm sich ein Glas von dem teuren Auchentoshan-Single-Malt-Whisky, dann verließ er das Chargiertenzimmer und begab sich mit Rene Amann in den Paukraum auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, drehte er den Schlüssel. Er wandte sich um und blickte in die Gesichter der bereits Anwesenden. Er sah Verunsicherung, Ratlosigkeit, aber auch Wut und kalte Entschlossenheit. Nur ein Objekt oder Ziel, auf das man diese Gefühle richten konnte, das fehlte ihnen.
»Setzt euch«, gab er die Anordnung aus, und alle nahmen am großen Holztisch Platz. Grosch wusste, dass er etwas unternehmen musste, um die Verunsicherung in geordnete Bahnen zu lenken. Wilde Spekulationen und blindem Verdacht geschuldeter Aktionismus würden sie nicht weiterbringen. Aber vor allem mussten sie jegliche Art von Aufregung von Irrlinger fernhalten. Wenn er heute nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses an die Öffentlichkeit trat, würden sämtliche Kameras der Republik auf ihn gerichtet sein. Natürlich würden die Journalisten ihn auch zu dem inzwischen bekannt gewordenen Todesfall von Josef Simon befragen wollen. Noch so eine Verwicklung, dann war es aus mit der Unternehmung Bundesland Franken, dann war alles, was sie so sorgsam geplant und erarbeitet hatten, zum Teufel.
Grosch stellte sich mit dem Gesicht zum Fenster, um sich noch einen Moment zu sammeln. Der Fuxmajor gesellte sich zu ihm. Hinter ihnen saßen die anderen wie die Ritter an Artus’ Tafelrunde im Kreis und warteten auf Anweisungen.
Doch selbst der Fuxmajor schaute ratlos aus der Wäsche. Ganz in Zivil und ohne seine imposante Chargenwichs sah er weit weniger martialisch aus. Er wollte sich gerade vom Fenster wegdrehen, als Irrlingers Handy vibrierte. Jemand Unbekanntes hatte ihm eine SMS geschickt, die nur aus einem einzigen kurzen Satz bestand: »Schau aus dem Fenster.«
Während Lagerfeld den Wagen wieder nach Staffelstein hinunterlenkte, besprach sich Haderlein bereits mit ihrem Chef. Fidibus hatte tatsächlich einen Tipp, wo sich die feine Gesellschaft aufhalten könnte. Er vermutete sie in Coburg in einem sogenannten Verbindungshaus.
»Wo ist das?«, fragte Haderlein noch einmal nach, dann
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