Drei Eichen (German Edition)
sein! Gab es denn nichts Wichtigeres auf der Welt als dieses komische Plebiszit über die fränkische Unabhängigkeit? Oder war die Selbstständigkeit Frankens tatsächlich von so großer Wichtigkeit, dass der Mordfall des heutigen Tages mit ihr in Zusammenhang stehen konnte? »Wenn es Sie denn interessiert, Chef«, sagte Haderlein leicht genervt, »ich für meinen Teil werde mich der Stimme enthalten. Ich darf das, ich bin schließlich nur zugelaufen. Außerdem wollte ich Ihnen eigentlich kurz berichten, was wir auf dem Staffel–«
Weiter kam Haderlein nicht. Aus Suckfülls Gesichtszügen sprach absolutes Unverständnis, während seine Trockenzigarre gequält knisternde Geräusche von sich gab. Als Vehikel für die suckfüllsche Stressabfuhr musste sie gerade wieder Überstunden leisten, was sie erfahrungsgemäß nicht überleben würde. Urplötzlich machte der Arm seines Chefs eine allumfassende Bewegung, als wollte er sämtliche Argumente Haderleins in Zusammenhang mit der Wahl vom Tisch wischen. Die Einstellung seines dienstältesten Kommissars konnte und wollte er so nicht akzeptieren.
»Also, Haderlein, Sie wollen mich wohl auf den Arm spannen, wie?«, gab er einen seiner berüchtigten selbst gezimmerten Sinnsprüche von sich. »Da geht es um grundlegende kulturelle und politische Weichenstellungen, da kann man sich nicht einfach enthalten. Da muss man sich entscheiden, Stellung beziehen, Partei ergreifen, Sie wissen schon, Haderlein.« Erwartungsvoll harrte Fidibus alias Suckfüll einer argumentativen Entgegnung seines Kommissars, doch der rieb sich mit geschlossenen Augen nur genervt die Nasenwurzel.
Das konnte doch alles nicht wahr sein! Warum durfte er hier nicht einfach nur seinen Job machen? Ob die Franken nun unabhängig wurden oder nicht, das war ihm so scheißegal wie nur was.
»Schauen Sie zum Beispiel die Schotten an, Haderlein«, nahm Fidibus seine Argumentationskette wieder auf, als er merkte, dass von Haderlein nichts Sinnstiftendes zu erwarten war. »Die werden ja nun auch bald über ihre Unabhängigkeit von Großbritannien abstimmen. Und dabei gibt es bei Weitem weniger Schotten als Franken, wenn ich das einmal anmerken darf. Oder schauen Sie Richtung Baskenland, nach Sizilien oder nach Südtirol, da wird es auch nicht mehr lange dauern, bis der Freiheitsdrang übermächtig wird. Wollen Sie sich dem Freiheitswillen der ewig Unterdrückten etwa verschließen?« Die einhundertfünfundsiebzig Euro teure Zigarre verabschiedete sich an diesem Punkt endgültig in den Tabakwarenhimmel und fiel Suckfüll aus der nervösen Hand und auf den steinernen Fußboden. Irritiert betrachtete er einen Moment lang seine plötzlich leere linke Hand, was Haderlein geistesgegenwärtig dazu nutzte, um das Gespräch endlich auf den aktuellen Mordfall zu lenken.
»Nun, dann ist Ihnen ja sicherlich auch bekannt, dass das angedachte freie Franken sich des Sachverstandes aus aller Welt bedient, mit dem es ein zukünftiges Kabinett auszurüsten gedenkt«, sagte er herausfordernd, erntete von Suckfüll aber nur einen mitleidigen Blick.
»Selbstverständlich weiß ich das. Einer meiner alten Studienkollegen von der Universität in Bayreuth wurde beispielsweise auserwählt, um das Interimsministerium für Finanzen zu leiten. Ein hervorragender Betriebswirtschaftler, der später auch noch Jura studiert hat und Jahrgangsbester in ganz Bayern wurde. Danach ist er leider in die USA gegangen, wo er –«
»Josef Simon?« Haderlein war perplex. Sein Chef hatte das heutige Mordopfer persönlich gekannt? Er war doch immer wieder für eine Überraschung gut.
» Sie kennen Josef?«, fragte Fidibus genauso überrascht wie der Kommissar zurück.
»Allerdings«, sagte Haderlein lakonisch. »Ich habe ihn heute auf dem Staffelberg … äh, kennengelernt, er wollte dort heiraten.«
»Tatsächlich?« Suckfüll war verwirrt. Sein alter Studienkollege heiratete auf dem Staffelberg und hatte ihn nicht eingeladen, Haderlein aber schon? Sehr verwirrend. Aber waren seine Kommissare heute nicht auch zum Staffelberg aufgebrochen, um dort einem gemeldeten Mord nachzugehen? So eine Morduntersuchung musste für eine Hochzeitsfeier doch sicher sehr störend sein, überlegte er etwas verunsichert. Hoffentlich hatten sich seine Beamten den Gästen gegenüber auch höflich und respektvoll verhalten. »Und wie geht es meinem lieben Josef?«, fragte der Dienststellenleiter ratlos, da er sich das alles nicht erklären konnte. Hoffentlich würde
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