Drei Frauen im R4
man nur mal eine Semmel essen will.«
»Das hier«, er besah sich neugierig sein Teil, »ist voll urbanes Design. Ich mach gleich mal ein Foto für Berlin.«
Nein!«, schrien Nele und Renate wie aus einem Mund, und Marco zuckte zurück und ließ sein Smartphone am Gesäß.
Wir hockten uns auf die Picknickdecke, belegten die kleinen Pumpernickelscheibchen und aßen eingelegte Gurken und Kirschen aus dem Glas, die noch von Renates Oma stammten. Die war auch schon tot, mindestens seit zwanzig Jahren. Ich kaute lustlos auf dem kaugummiartig gewordenen Fruchtfleisch herum und stellte beruhigt fest, dass die mit eingemachten Kerne inzwischen weich geworden waren. Wenigstens meinen Zähnen würde nichts passieren.
»Aber sind die überhaupt noch gut?«
Ich löffelte ein paar weitere Kirschen aus dem Glas, denn zwanzig Jahre sind auch für Kirschen kein Pappenstiel. Selbstredend: Nele und Renate fanden sie eins a, und die Kerne störten sie kein bisschen, egal, ob hart oder weich.
»’81 haben wir nie entkernt. Das gab es gar nicht. Weder bei Marmelade noch beim Einmachen. Meine Oma hat immer gesagt, die Kerne sind gut für die Verdauung.«
»Die Därme von heute sind anders«, entgegnete ich. »Heutzutage essen Menschen Joghurts, die in bestimmte Richtungen drehen. Und auch du kannst nicht ignorieren, dass dein Darm nicht mehr so geschmeidig ist wie mit zwanzig Jahren.« Renate schaute unglücklich drein. Einerseits wollte sie recht behalten, andererseits wollte sie vor jungen attraktiven Männern nicht über Gedärm im Allgemeinen und schon gar nicht im Besonderen diskutieren. Und ganz tabu war ihr Verdauungsapparat. Ich nutzte die Gelegenheit schamlos aus. »Die Darmwand bei Frauen über dreißig hat für die Verdauung von Kirschkernen und dergleichen einfach zu lange Zotten.« Das hatte ich mir gerade ausgedacht, nur die Zotten waren mir ein Begriff. »Deswegen solltest du lieber ordentlich kauen. Am besten wäre …«
»Trudi, es reicht«, pfiff Nele mich erneut von meinem kleinen Schlammspiel zurück. Marco schwieg peinlich betreten.
Ja, er hatte es ganz schön schwer. Das hier war eine wirkliche Herausforderung des Lebens. Während hinter der Butterblumenwiese die Autos in Kolonnen rollten, saß er hier, aß altes Obst und bekam Darmgeschichten und Zotten zu hören. Auffällig schnell gesättigt, verweigerte er den Riegel Gouda, den Nele ihm reichte und der ihr aufgeweicht und tropfend aus den Fingern hing.
»Herrlich«, freute sich Renate und erklärte, sie würde jetzt über die Wiese ziehen, um Sauerampfer und Löwenzahn fürs Abendessen zu suchen.
»Seid ihr eigentlich bescheuert?«, platzte es plötzlich aus Marco heraus. »Ich hab keinen Bock auf Chillen. Ich rufe jetzt die Pannenhilfe!« Ärger funkelte in seinen Augen.
»Lass bloß das Telefon stecken«, drohte ihm Renate. »Wir kriegen das auch ohne Notruf hin.«
»Oder wir trampen und holen einen Mechaniker her«, machte ich den Vorschlag, der, wie ich fand, zu den vorgegebenen Regeln passte. Zur Antwort klopfte Nele aber nur mit dem Messer auf die Niveadose, die sie wie besessen bei sich trug. Mein Herz begann aufgeregt zu klopfen, denn nun war er da, schneller als gedacht, der Moment, in dem ich mein Plastikgeld springen lassen konnte. Die guten Karten von all den guten Banken, die ich hatte. Ohne mich zu erklären, kletterte ich in den Wagen und zog den Jutesack unter dem Vordersitz hervor. Meine Brieftasche mit den Karten fühlte sich verdächtig dünn an. Genau genommen war es auch nicht meine Brieftasche, nein, das vertraute türkisfarbene Kalbslederteil hatte sich in ein ockerfarbenes Kamelledertäschchen verwandelt, das wie die auf unserem Fest gezeigte Brieftasche vor sich hin miefte und beim Öffnen abscheulich stank. Wenige Banknoten und mein Ausweis fielen heraus, ansonsten fand ich nichts.
»Meine Brieftasche ist weg!«, rief ich erschrocken.
»Aber du hältst sie doch in der Hand.« Nele vermied es, mich anzusehen.
»Was soll das heißen, Nele?«
»Der andere Geldbeutel und die Karten sind alle bei Anna. Damals gab es noch kein Plastikgeld!«
Dies wäre jetzt eigentlich der Moment gewesen, um gerechtfertigt aus der Haut zu fahren, aber die Situation war so bekloppt, dass ich plötzlich lachen musste. Ich kicherte los, als wäre ich reif für die Klapse. Renate kam zurück, stimmte mit ein und warf sich mit einem Bündel Brennnesseln in der Hand ebenfalls laut grölend auf die Picknickdecke.
»Stimmt doch«, wiederholte sich
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