Drei Frauen im R4
vor und zurück, streckte dauernd die Zunge heraus und schielte mit den Augen. Bloß keine Masturbationsanleitung!, dachte ich. Die Schweiz hatte zwar erst jüngst den Bankern das Handwerk gelegt, aber für diese feministische Aufforderung, die aus den ganz frühen 80ern stammte, war das Land sicher immer noch nicht bereit. Außerdem wirkte Nele in ihrer Präsentation eher unentspannt und ließ einen an Orgasmusstörungen denken.
Jetzt fiel ihr auch noch die irische Metallflöte in die Finger, die offensichtlich in die erste Ära der Dritte-Welt-Läden gehörte, damals, als es dort diese grellbunten selbstgestrickten Ponchos aus Peru, ebensolche Mützen mit Ohrenklappen, Sorgenpüppchen und Affen aus Kokosnussschalen gegeben hatte. Die Affen hatten pantomimisch die Botschaft »Nicht sehen, nicht hören, nicht sprechen« verkündet und wurden in die klebrigsten Winkel der WG -Küchen verbannt, oder wenn es gar nicht anders ging, verschwanden sie schamhaft schnell unter einer Yuccapalme. Die waren einmalig gewesen, diese Affen. Einmalig hässlich.
»Ui, das lag daneben«, zuckte Renate peinlich berührt zusammen, weil ihr der Refrain von Lotte durch die Finger gerutscht war. Gleich darauf lachte sie ausgelassen, und ihre Haare flogen dabei nur so durch den abendlichen Sommerwind.
Das wär was für Margret, dachte ich. Mit dieser Generalprobe wäre wohl wirklich Geld zu machen gewesen. Die Frauenzeitschriften hätten ihr die Fotos aus der Hand gerissen, und ich war froh, dass ich ihre Handynummer weggeworfen hatte. Denn angesichts unseres Geldmangels war ich mir nicht sicher, ob wir uns nicht doch verkauft hätten, nur um ein paar schnelle Scheine einzustreichen. Nele mit irischer Metallflöte an den Lippen, das war ein Coverbild, für das sich sicher nicht nur bei MAD Leser begeistern würden, und ich gab nur in einem Nebensatz zu bedenken, auch eine Tin Whistle wollte, dass man die Finger richtig auf die Löcher setzte. Nicht nur Renate, auch Nele griff leider ziemlich oft vorbei, was die Flöte zu gequälten Zerrtönen demütigte, aus denen nur mit Mühe Reinhard Meys Über den Wolken zu erkennen war.
»Kannst du nicht vorne singen?«, konzentrierte sich Renate mit einem Mal auf mich, wohl weil sie genug von der eigenen Musikkunst hatte. »Da brauch ich die Gitarre gar nicht anzulegen, wenn du den Text nur piepst. Raus mit den Worten, du musst aus der Brust singen. Vor den Zähnen!« Sie pochte mit dem Zeigefinger auf ihre beiden Schneidezähne. »Daaaa!« Noch mal pochte sie energisch los. »Deine ganze Stimme hängt im Hals.«
Vor den Zähnen singen, dieses Fachwissen musste sie sich bei den Talentshows abgeschaut haben, die sie mit ihrem Söhnlein Oliver konsumierte.
»Also weißt du«, wehrte ich mich empört, aber da kam er schon, der ganze besserwisserische Mist, den Dieter Bohlen und diese Zwillingsbrüder so gern absondern. »So steif kenne ich dich gar nicht« und »Ich hab mir mehr versprochen von dir« und »Sonst bewegst du ständig deinen Hintern, und jetzt stehst du da, als wäre darin ein Stock«. Und der Oberhammer: »Ich denke, du willst auf die Büüüühneeee!?! Dann zeig das bitte mal!«
Wie sollte ich bitte zu dieser Zwölftonmusik tanzen, singen und die Melodie auch noch halten? »Noch mal von vorn«, entschied Nele und setzte die Flöte an.
Keine Sau würde das Lied erkennen und uns dafür etwas in die Mütze tun. Dabei war Über den Wolken ein echter Gassenhauer gewesen und passte zur Urlaubsstimmung und dem Vierwaldstättersee. Mit Reinhard Mey war unbedingt zu punkten, ganz besonders deshalb, weil Fips zu unserer Freude damit begann, mit Schwanz im Maul Dauerkreisel zu diesem Lied zu tanzen. Wenn einer von uns Geld einbringen würde, dann war es sicher er. Er sah unglaublich süß aus, wie er sich drehte und immer wieder Männchen machte.
»Vielleicht sollten wir ein Schild malen: Auch Euro sind erwünscht ?«, brachte uns Nele auf die Idee, überhaupt ein Schild neben dem Hut aufzustellen. »Wenn das Publikum erst mal gerührt ist, dann will es auf jeden Fall was geben, das kenn ich vom Kindergottesdienst.«
Das zielte auf unseren nächsten Song, einen Gospel, den Renate vorgeschlagen hatte, um die Göttinnen für uns zu gewinnen. Oh, when the saints go marching in , was in den damals veranstalteten gnadenlosen Gospelmessen gerne mal mit »Und wenn das Lamm geschlachtet wird, o wenn das Lamm geschlachtet wird, o dann lass mich auch dabei sein, wenn das Lamm geschlachtet wird«
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