Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drei Frauen im R4

Drei Frauen im R4

Titel: Drei Frauen im R4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Weiner
Vom Netzwerk:
hätte ich einfach mehr frühstücken müssen«, schimpfte ich zu Nele hin. »Diese Handvoll Trockenmüsli macht doch eine Frau wie mich nicht satt!«
    »Du wolltest ja keinen Kefir drüber«, erinnerte mich Renate indigniert und meinte damit wohl das angegrünte Zeug, das sie schon vorgestern ausgebrütet hatte. Wie mit Algen durchzogen sah die Masse aus.
    »Da!«, schrie mir Nele so aufgeregt ins Ohr, dass ich schon wieder fast zu Tode erschrak. Sie zeigte fuchtelnd auf einen Platz zwischen zwei Touristenbussen.
    Immerhin, der Parkplatz schien genial. Einerseits war er nah an dem Platz, auf dem wir gerne auftreten wollten, andererseits im Schatten, und drittens schien er uns geschützt, weil man unser kleines Auto zwischen den großen Bussen fast nicht sah.
    »Die Politessen werden uns sicher übersehen«, atmete Nele auf, weil uns das ein Ticket sparte. Obwohl wir uns in Luzern nun schon fast wie zu Hause fühlten, hatte ich vor dem Schweizer Regelwerk weiterhin Respekt und mochte gar nicht daran denken, dass noch ein Grenzübertritt mit Hund anstand. Vielleicht war ich auch nur lampenfiebrig. Vor großen Herausforderungen sah ich die Welt gerne schon mal grau.
    »Na schau mal, wie süß …«, meinte Renate, als sie mir einen Bleistift aus den Haaren zog. »Zauberhaft siehst du aus. Wie eine kleine Putte!«
    Tatsächlich umspielten kleine Löckchen mein Gesicht.
    »Das sieht nach Minipli aus«, besah ich mich ärgerlich im Spiegel.
    »Oder Heimdauerwelle«, ergänzte Nele und zog ein paar Locken fest herab. »Wenn sie tiefer hängen, wird es besser. Dann siehst du nicht mehr so nach Atze Schröder aus.«
    Renate fand meine Frisur natürlich grandios, wie sie alles grandios fand, was jetzt geschah. Sie war voll in ihrem Element, vermutlich deshalb, weil sie nie zum Theater gehen wollte. Für mich sollte ein Auftritt nicht nur gut sein, sondern bestmöglich. Als in die Jahre gekommene Putte mit Löckchen und wedelnden Ohrringen war ich von diesem Anspruch weit entfernt und befürchtete drittklassiges Kleinkunst-Kabarett. Und dann ging es auch schon los. Kaum dass wir aus dem Auto stiegen, folgten uns alle Augen. Klar, solche Gestalten wie uns hatte Luzern schon lang nicht mehr gesehen. Meine Glöckchen bimmelten bei jedem Schritt. Nele hatte sich für die Malerlatzhosen und das lilafarbene Shirt entschieden, und Renate trug ihren langen türkisfarbenen Stufenrock, darüber eine weiße Puffärmelbluse.
    Mit bunten Tüchern legten wir vor dem Schiffsanleger einen schönen Kreis, stellten den Hut für die Spenden gut sichtbar vor uns hin und stimmten uns noch einmal ein. Als die ersten Leute stehen blieben, sangen wir unerschrocken los. Wie abgesprochen, war das Bett im Kornfeld unser erster Hit, gefolgt von den Beatles mit Obladi Oblada , weil dieses Lied aufgrund seines Lalala-Textes uns zum Einsingen wie geschaffen schien. Obwohl es noch früher Vormittag war, blieben viele Luzerner und viele Touristen sofort stehen, und die Menge kochte gleich. Die Feiertagslaune war mit uns, und uns half auch, dass die ersten Schiffe schon um neun Uhr fuhren. Schnell wurde unser Publikum größer, auch wenn viele eigentlich nur wegen einer Seerundfahrt gekommen waren. In einem wippenden Halbkreis von mindestens fünfzig, sechzig Menschen standen sie um uns herum. Immer mutiger wurde ich dadurch, vergaß die Locken und die schiefen Töne und forderte, in die Hände klatschend, alte wie junge Zuschauer auf.
    »Kennt ihr noch den Puppenspieler von Mexiko ?«, fragte ich laut und bekam ein riesiges »Jaaaa!« zurück.
    »Dann stimmt mit ein!!!« Und schon sang ich mit einem großen Chor vom Puppenspieler, der einmal traurig und einmal froh war, und davon, dass nicht alles im Leben im Glück endet. Den Refrain sangen wir öfter als geplant, weil ich bereits über die folgenden Liedtexte nachdachte und dabei bemerkte, dass bei Nele die Stirn in Falten lag.

    Das Publikum feuerte mich an, und wie ein Derwisch drehte ich mich um mich selbst.
    »Und wie ist es mit Er gehört zu mir ?«, warf ich einen neuen Evergreenvorschlag in die Runde, von dem ich wusste, dass ihn Nele perfekt kannte. »Jaaaa!«, riefen die Menschen begeistert und sangen auf der Stelle los. Der Kreis wogte hin und her, auf der rechten Seite bildete sich eine La-Ola-Welle. Das spornte mich an, und ich gab immer mehr mein Bestes und fütterte die Meute immer weiter mit neuen alten Hits. Allerdings, wechseljährig, wie ich war, kam ich dabei ziemlich außer Atem und

Weitere Kostenlose Bücher